Saisonware für begrenzte Nachfrage
Das erste Jahr der neuen Intendanz neigt sich dem Ende zu und es war ein ruhiges Jahr, eine routiniert und solide abgewickelte Spielzeit, die aber auch überraschungsfrei ablief, eine Spielzeit entlang einer Mittellinie, weder enttäuschend noch begeisternd, vielleicht im Durchschnitt ein gutes Mittelmaß, dem es ein wenig an Elan und Ambition, Strahlkraft und Erinnerungswürdigkeit mangelte. Die fehlende Aufbruchstimmung machte sich auch bei den enttäuschenden Zuschauerzahlen bemerkbar, die bestenfalls stagnierten.
Viel Lob gebührt dem Operndirektor Christoph von Bernuth für das Ensemble und die Programmgestaltung, insbesondere den Raritäten The Wreckers (die 2026/27 als Wiederaufnahme zurückkehren sollen) und Phèdre. Ansonsten setzte man stark auf beliebtes Kernrepertoire: Don Pasquale, Cavalleria Rusticana / Pagliacci, Fledermaus, Der Rosenkavalier, Eugen Onegin - man wollte einem breiten Publikum konsensfähige Werke und Inszenierungen gönnen und zeigte sehr gute Besetzungen. Sängerisch enttäuschend war nur Händels Rinaldo. Vieles gelang, nur noch keine grandiose Inszenierung, die man über Jahre gerne immer wieder besuchen will.
Was in der vergangenen Spielzeit hervorzuheben ist, ist die Idee des Farinelli-Wettbewerbs. Die erste Ausgabe krankte noch an einer etwas holprigen Umsetzung, in der kommenden Spielzeit zieht man bereits vom Kleinen ins Große Haus um, und wenn es wieder einen Publikumspreis geben soll, wird man dann mehr, aber hoffentlich nicht länger auszählen müssen. Doch das sollte man in den Griff bekommen können. Ob man wirklich im Jahresabstand genug sehr gute Kandidaten für diesen Wettbewerb bekommen kann, bleibt abzuwarten.
Auch Ballettdirektor Raimondo Rebeck hatte ein gutes erstes Jahr, das wie ein Versprechen für eine bemerkenswerte Zukunft wirkte. Die neue Kompagnie ist angekommen, das wenig aufgeführte Tanzkraftwerk zu Beginn war ein Höhepunkt der Spielzeit, danach folgten weniger homogen wirkende Choreographien bei Leuchtfeuer und Romeo und Julia. Die frühere Ballettdirektorin Birgit Keil lieferte dem Publikum jahrein, jahraus bemerkenswerte Produktionen. Daran anschließen zu können, wird die Herausforderung der kommenden Jahre.
And the Oscar goes to ....
- Das Opernensemble, bei dem es schwer fällt, einzelne Sänger hervorzuheben. Dennoch eine kleine Auswahl erinnerungswürdiger Interpretationen:
- Ann-Beth Solvang als Santuzza, Phèdre und Marschallin
- Armin Kolarczyk als Falke, Thésée und Cosroe
- Florence Losseau als Octavian,
- Ralitsa Ralinova als Sophie und Avis,
- Martha Eason als Adele und Norina,
- Anastasiya Taratorkina als Œnone.
- Lucia Solari, die als ausdrucksstarke Gräfin Capulet tänzerisch beeindruckte,
- Kristina Paulin, die mit neuer Compagnie gleich zu Beginn der Spielzeit einen Bolero choreographierte, der mitreißend war.
Negatives und Tiefpunkte:
An vielen Stellen fehlte die Aufbruchstimmung, bspw. in der Außendarstellung. Man hat im letzten Jahrzehnt manche Zuschauer verloren und aus eigener Erfahrung muß der Autor dieser Zeilen bedauernd feststellen, daß die ihm bekannten Wegbleibenden sich (noch) nicht motivieren lassen, (öfters) zurückzukommen. Es fehlen begeisternde Inszenierungen, es fehlt die Konstanz an bemerkenswerten Produktionen und es fehlt eine überzeugende Marketing-Strategie, die das skeptische Publikum erreicht. Das Theater strahlt eine gewisse Müdigkeit und Ideenlosigkeit bei der Selbstdarstellung aus.
Insbesondere das Schauspiel braucht einen Neustart, doch der kaum in Erscheinung getretene Schauspieldirektor Claus Caesar setzte auf Berechenbares in Fortsetzung. Die rote Mühle konnte den eigenen Ansprüchen nicht ansatzweise genügen. Bei Kafka blieb man viel zu brav, Der Prozeß wirkte unambitioniert. Brechts Furcht und Elend des Dritten Reichs war die gelungenste Produktion der Spielzeit, sogar das Programmheft war informativ. Die Tragödienbastardin hingegen blieb alles schuldig, Büchners Woyzeck hätte ins Studio oder ins Schülertheatter gehört, Die Verlorenen hatte gute Momente und blieben aufgrund der Kürzungen und Regie nicht satisfaktionsfähig.
Der Tiefpunkt der Spielzeit war mit Die Wut, die bleibt erreicht. Man kann nur spekulieren, wieso man dabei so unkritisch und widerstandslos auf Gewaltverharmlosung setzte. Intendant Firmbach hinterließ damit den Eindruck, bereits im ersten Jahr als Frühstücksintendant zu agieren, der sich nicht für das interessiert, was auf die Bühne kommt und im Programmheft steht. Bei den Schauspielverantwortlichen hingegen stellt sich sogar die Frage, ob sie in der Lage sind, das Schauspiel an einem Staatstheater zu leiten, sofern man sich nicht damit herausreden will, daß man ebenfalls seinen Pflichten durch Ignoranz oder Überforderung nicht nachkam. Wenn Theaterverantwortliche nicht erkennen, daß sie weibliche Straftäter zur Ikone feministischen Empowerments erklären, dann sollten sie sich privat ein Poster von Beate Zschäpe in ihre Wohnung hängen und zukünftig nicht das Theater dafür mißbrauchen.
Neben diesem offensichtlichen Scheitern von Intendant Christian Firmbach, gibt es noch immer den Haltungsschaden als Klienteltheater zu korrigieren. Diversität mag man nicht wagen, gerade das Schauspiel setzt auf Zuschauerinnen und hat den Anschluß an die Stadt längst verloren. Die männliche Bevölkerung ist bei den unter 30-Jährigen deutlich in der Überzahl, der Männeranteil an der Uni Karlsruhe liegt bei 70%. Bis etwa zum 60. Lebensjahr gibt es in Karlsruhe mehr Männer als Frauen. Gerade die in den letzten Jahren im Schauspiel so gerne zur Schau gestellte spießige Zeigefingerattitüde wirkt da zunehmend lächerlich und einseitig. Solange man es nicht mal mit mehr Gleichberechtigung, mehr Intelligenz und weniger Niedertracht probieren will, kann das Karlsruher Schauspiel viel von sich behaupten, aber bestimmt nicht, daß es inklusiv ist. Bereits im letzten Jahrzehnt war die Floskel "Theater für alle" eine Lüge. Und im vierten Jahrzehnt als Schauspielbesucher will der Verfasser dieser Zeilen darauf hinweisen, daß in früheren, scheinbar "patriarchalischen" Jahrzehnten es kein männlicher Regisseur nötig hatte, weibliche Figuren zu denunzieren. Das angeblich "feministische" Theater setzt allerdings gerne auf Einseitigkeit, Feindseligkeit und niedere Instinkte und unterstützt den Eindruck, daß das Niveau in jeder Hinsicht im Tiefflug ist. Die Bretter, die die Welt bedeuten könnten, kümmerten sich in den letzten Jahren lieber um ihre ideologischen Abziehbilder, statt um Menschen. Also liebes Badisches Staatstheater, traut euch und legt endlich die Scheuklappen ab. Der Wind hat sich gedreht, nur die Theater sind mal wieder hinten dran. Macht das Theater wieder zu einem Safe Space gegen die Zumutungen der Vulgarität und Ideologien statt zu dessen Handlangern.
Und sonst?
In der Oper scheint man sich bereits auf einen Stagione-Betrieb im Konzerthaus vorzubereiten. Nach der Premiere wurde jedes Werk in den nachfolgenden Wochen "abgespielt", nichts hielt sich über einen längeren Zeitraum und wer gerne eine Oper mehrfach hören will, der muß sich beeilen. Das Schauspiel hingegen hat einen abwechslungsreichen Spielplan, dessen Menü dann aber nicht überzeugen konnte.
Es mag sehr subjektiv sein, doch ein wenig fühlten sich die Produktionen dieser Spielzeit nach Saisonware an, der die Nachhaltigkeit fehlte.
Wegbröckelnde Zuschauerbasis
Nur noch ca. 249.000 Besucher bei 926 Veranstaltungen, ca. 77% Auslastung. Doch es gibt eine Einschränkung, davon sind ca. 60.000 Kinder, Jugendliche und Studenten, ein Anstieg um 6%. Kinder und Jugendliche sind Zwangsbesucher, die in der Regel mitgebracht werden, also nur noch ca. 200.000 freiwillige Besucher. Wie sich die Besucher auf die einzelnen Sparten aufteilen, ist auf der Webseite des Staatstheaters nicht aufgeschlüsselt. Beim Ballett soll die Zuschauerzahl in etwa konstant geblieben sein, Schauspiel, Konzert und Oper scheinen verloren haben. Wenn man am Badischen Staatstheater von einem Erfolg sprechen will, dann bestenfalls vom Erfolg der Stagnation. Die fehlende Aufbruchstimmung, das routiniert Unoriginelle war das Hauptproblem der Spielzeit.