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Montag, 4. November 2024

Brecht - Furcht und Elend des Dritten Reichs, 03.11.2024

Brecht als Orwell: exemplarisch statt episch
Stehende Ovationen, Bravo-Rufe und Jubel - diese Publikumsreaktionen lösten am Badischen Staatstheater zuletzt Oper und Ballett aus, bei denen Wechsel und Neustart gelungen ist und die von einer zuversichtlichen Stimmung profitieren. Ganz anders das Schauspiel, das diese Zuneigung des Publikums aktuell kaum zu spüren bekommt. Man hat auf den Umbruch verzichtet und Aufbruchstimmung war schon vorab nicht zu erwarten und hat sich bisher auch nicht eingestellt. Die ersten beiden Schauspielpremieren der Spielzeit waren dazu wenig begeisternd. Auch die dritte Premiere des neuen Schauspieldirektor Claus Caesar wird das Publikum zwar nicht in Scharen ins Theater locken, aber immerhin gelingt hier eine bemerkenswerte Brecht-Inszenierung, die das für Brecht untypische, nicht verfremdete oder episch wirkende Szenenwerk zu einem exemplarischen Stück über das Verstummen des Einzelnen im autoritären Staat macht. Caesar gelingt mit der Verpflichtung des russischen Regisseurs Timofey Kuljabin eine erste positive Überraschung. Bertolt Brecht (*1898 †1956) ging 1933 ins Exil, bis 1939 wohnte er in Dänemark, wo erste Texte von Furcht und Elend des Dritten Reiches entstand, eine Sammlung von kurzen Szenen mit unterschiedlichen Rollen, mit denen die gesellschaftliche Atmosphäre im nationalsozialistischen Deutschland beschrieben werden sollte. Aufgrund fehlender eigener Anschauung war Brecht auf Berichte und Erzählungen Dritter angewiesen. Doch durch Brechts Distanz erhielten die Szenen eine diktaturübergreifende Prägnanz, die den Text ebenso zur allgemeinen Vorlage für psychologische Mechanismen in jeder Diktatur macht. Brecht schafft hier unbeabsichtigt exemplarisches Theater, das in die Gegenwart aktueller Diktaturen geholt werden kann. Eine Aktualität, die sich die Karlsruher Inszenierung zunutze macht. Die Inszenierung "schlägt einen Bogen von lauter Propaganda hin zum Verstummen und fokussiert auf die unheimliche Gegenwärtigkeit des Brecht‘schen Stoffs." Und diese Aktualisierung ist gelungen und hat durchaus sogar Anknüpfungspunkte für die bundesdeutsche Realität. Denn angesichts einer Bundesregierung, die wieder Journalisten (erfolglos) verklagt, die Denunziationsportale finanziert, die mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz ein Vorbild für autoritäre Staaten geschaffen hat und der Bundesnetzagentur eine Funktion überträgt, die zur Zensur mißbraucht werden kann, ist ein Theaterstück gegen autoritäre Politik und gegen die Beschränkung der Meinungs- und Redefreiheit gerade wieder akut dringend nötig.