Sonntag, 1. September 2024

Vorschau auf die Spielzeit 2024/2025 (2)

Fragezeichen zwischen Kontinuität und Aufbruch
Anna Bergmann scheint rückblickend ein Kassengift, ihre Sparte verlor im Vergleich zu anderen Sparten deutlich mehr Zuschauer. Und hätte es letzte Saison nicht Romeo und Julia im Großen Haus gegeben, durch das man quasi alle verfügbaren Abonnenten jagte, hätten sich die Zahlen eher wieder am Tiefstand der Spielzeit 2022/23 orientiert. Der neue Schauspieldirektor Claus Cäsar hat also viel Luft nach oben, doch wer gehofft hatte, daß es einen Neustart als Umbruch geben würde, der wurde enttäuscht. Cäsar wählte den scheinbar einfachen Weg. Da er zuvor nicht als Schauspieldirektor tätig war, konnte er nichts mitbringen, weder Ensemble noch Repertoire, und übernahm alle bleibewilligen Schauspieler und viele Inszenierungen der letzten Spielzeit. Auch programmatisch fällt Cäsar nicht auf, keine neuen Programmlinien, keine offensichtlich neuen Ideen (man denke nur an Knut Webers fulminante Downtown-Projekte vor 20 Jahren!), der Betrieb wird fortgesetzt, sechs Premieren im Kleinen Haus, drei im Studio, zwölf Wiederaufnahmen. Droht nun bleischwerer Stillstand? 

Cäsar scheint dem Schauspiel seinen eigenen Stempel ganz unaufgeregt aufdrücken zu wollen. Keine Knalleffekte zu Beginn, sondern stille, seriöse Arbeit. Während man bei Bergmann oft den Eindruck hatben konnte, daß das Theater ideologisch zum Klientel- und Selbstbefriedigungstheater instrumentalisiert wurde und die Produktionen deshalb zu oft Scheuklappen trugen, mit denen man dem Theater jegliche Ambivalenz austrieb und ein gleichgeschaltet wirkendes denkfaules Weltbild vermittelt wurde, scheint Cäsar zumindest rhetorisch aufgeschlossener und intellektueller. Lauscht man seinen Worten, scheint man ein erwachseneres und reiferes Theater erwarten zu dürfen. Es gibt zwar keine Komödie unter den Neuproduktionen, aber bei der Roten Mühle und Shakespeares Sturm scheint es heiter zuzugehen. 
Die Vorzeichen im Schauspiel scheinen skeptisch zu stimmen, die Strategie, mit der man kurzfristig wieder mehr Aufmerksamkeit erzielen will, ist nicht zu erkennen. Es scheint, als ob man insbesondere Claus Cäsar die Daumen drücken sollte, das borniert und spießig wirkende Klientelkonzept aufzubrechen. Karlsruhe hat wieder ein spannenderes und vielfältigeres Schauspiel verdient!

Die scheidende Operndirektorin Nicole Braunger hatte weder ein glückliches Händchen bei ihren Entscheidungen noch konnte sie perspektivisch überzeugen. Ihre Direktion erscheint rückblickend als Nachlaßverwaltung, bei der sie nie richtig eigene Akzente setzten konnte, sondern von Jahr zu Jahr abwickelte, was ihr aufgegeben war. Ihre eigene Bilanz war bitter: "Was ich gerne geleistet hätte, wäre der Aufbau eines Ensembles mit langfristigen Planungshorizonten gewesen. Das war leider nie möglich."
Der neue Operndirektor Christoph von Bernuth ist ein größeres Kaliber, der selber als Regisseur tätig ist und mitbringt, was man für den Job erwarten darf. Das Programm für die kommende Spielzeit umfaßt publikumswirksames Hauptrepertoire, ohne das es nicht geht - Don Pasquale, Pagliacci / Cavalleria Rusticana (alle drei Mitbringsel aus Oldenburg), Fledermaus, Der Rosenkavalier und Eugen Onegin -, eine der beliebtesten Händel-Opern in einer selten, weil späten Fassung - Rinaldo -  sowie mit Smtyhs The Wreckers und Lemoynes Phèdre zwei in Karlsruhe noch nie aufgeführte Raritäten und mit Itch eine Oper eines der beliebtesten zeitgenössischen Opernkomponisten. Formal ist für jeden etwas dabei. Wenn man den neuen Operndirektor zuhört, kann man das gute Gefühl gewinnen, daß man sich auf die kommenden Jahre freuen kann.

(Vor-)Freude gehört zur zur Spielplangestaltung. Wer ein Publikum erreichen will, muß auch atmosphärisch etwas zu bieten haben. Das kann man im Schauspiel komplett vermissen, in der Oper ist es auch durch manche neue Sänger und noch zu entdeckende Programmlinien bereits erkennbar, aber vor allem im Ballett ist das Neue auch das spannende Unbekannte. Viele neue Tänzer, ein erklärter Fokus auf erzählerisches Tanzen und mit Raimondo Rebeck ein choreographierender Ballettdirektor und  Kristina Paulin als Hauschoreographien, die im ersten Jahr noch kein eigenes abendfüllendes Ballett beisteuert. Bridget Breiner konnte - auch epidemiebedingt - nicht mit Birgit Keils erfolgreicher Direktion mithalten, das Ballett war nach dem Schauspiel die zweite große Verliererin in der Zuschauergunst. Im Ballett ist nun ein starker Gestaltungswillen erforderlich, der das Publikum wieder stärker begeistert. 

Die Konzertbranche leidet unter keinen Auswirkungen der Virusepidemie,  man meldet "weit über 40.000 Besucher" und ein Auslastung von 84% für die vergangene Spielzeit. Vor fünf Jahre gab es über 39.000 Besucher bei 91% Auslastung. GMD Georg Fritzsch hat für die kommende Spielzeit ein ungewöhnlich spannendes Symphonieprogrammkonzert jenseits der Routine vorgestellt, mit vielen interessanten Stücken, die man sehr lange nicht mehr oder noch nie gehört hat. Auffällig hingegen die nun schon seit Jahren wirksame Reduzierung des Programmumfangs. In manchen Konzerten gibt es keine Pause mehr, manche Mahler-Symphonien füllen das komplette Konzert, wo es früher bei den gleichen Stücken noch Vorprogramm und Pause gab.