Spannend, mitreißend und umjubelt
Es hatte sich ja bereits abgezeichnet, daß das Herzblut des neuen Intendanten Christian Firmbach der größten Sparte gehört und die Ära der falschen Wertigkeiten nun endgültig vorbei sein sollte. Die gestrige erste Opernpremiere des neuen Operndirektor Christoph von Bernuth war mit Spannung erwartet und endete als voller Erfolg mit mitreißender sängerischer und orchestraler Leistung und einer gelungenen Inszenierung, die aus Ethel Smyths vergessener Oper The Wreckers einen spannenden Thriller macht.
The Wreckers - Die Strandräuber - spielt in einem kleinen, abgelegenen Dorf an der Küste von Cornwall im 18. Jahrhundert. Die Bewohner des Dorfes leben von Strandräuberei, indem sie Schiffe absichtlich in die Irre führen, damit diese an den Felsen zerschellen, die Wracks geplündert und Überlebende ermordet werden können. Der Dorfprediger Pascoe führt die Dorfbewohner in ihrem religiösen Glauben und rechtfertigt sogar die Strandräuberei als von Gott gewollte Einnahmequelle und das Ausbleiben von Beute als Strafe Gottes. Der Außenseiter Marc jedoch hat ein Gewissen und zündet heimlich Leuchtfeuer an, damit trotz verlöschten Leuchtturms keine Schiffe mehr zerschellen. Pascoes Ehefrau Thirza hat heimlich eine Affäre mit Marc, unterstützt ihn und will mit ihm fliehen. Die Bewohner des Dorfs beginnen nach dem Verräter zu suchen. Dramatischer Katalysator ist die eifersüchtige Avis, die Marc liebt, aber von ihm zurückgewiesen wird. Pascoe entdeckt, daß Thirza eine Verräterin ist. Doch lieber schweigt er und lenkt den Verdacht auf sich. Marc gesteht, um Pascoe zu entlasten, Thirza bekennt sich zu ihrer Liebe zu Marc, beide werden verurteilt und erleiden ein operntypisches Ende: sie sterben gemeinsam singend einen nassen Tod: "Our last ecstasy thy embrace, o sea!".
Was ist zu beachten?
Hätte man Wetten auf die Einstiegsoper der neuen Operndirektion setzen können, wäre The Wreckers sicherlich ein Außenseiter gewesen, aber kein komplett unerwarteter, denn beim Glyndebourne Festival 2022 wurde diese Oper der englischen Komponistin Ethel Smyth (*1857 †1944) gespielt (dort in der französischen Originalfassung, der in Karlsruhe beliebte Rodrigo Porras Garulo sang übrigens Marc. In Karlsruhe ist die "richtige" englische Version zu hören). Das unbekannte Meisterwerk (nicht im Balzac'schen Sinne!) zurück auf die Bühne zu bringen, ist eine Ambition des neuen Operndirektors Christoph von Bernuth (im Januar folgt Phèdre von Jean Baptiste Lemoyne). Ein schönes Ziel, wenn das Publikum es honoriert. Der Mut zur Rarität zahlte sich gestern aus!
Historisches (1)
Die Komponistin, Schriftstellerin und frühe Feministin Ethel Smyth mußte sich ihren Weg erkämpfen, fand namhafte Unterstützer (bspw. die Dirigenten Felix Mottl, Bruno Walter und Thomas Beecham) und scheiterte doch daran, daß sich kein Publikum fand, das sich für ihre Musik begeisterte (womit sie das Schicksal vieler anderer vergessener männlichen Komponisten teilt). Daß sie zuletzt eine kleine Wiederentdeckung erlebt, liegt schlicht daran, daß es kaum weibliche Komponisten zum Wiederentdecken gibt, und noch weniger Komponistinnen, die publikumswirksame Musik geschaffen haben. Das mag man bedauern, doch die Gründe für die männliche Dominanz unter Wissenschaftler, Mathematikern, Schachspielern und Künstlern ist bekanntlich schlicht genetisch bedingt durch die größere Standardabweichung: Nieder- und Hochbegabung sind ungleich verteilt zulasten und zugunsten des XY-Chromosons: es gibt sowohl mehr männliche als weibliche Einfaltspinsel als auch mehr männliche Genies, (mehr bspw. hier).
Historisches (2)
Der Originaltext der Urfassung ist auf französisch (Les Naufrageurs), Smyth wollte es auch in französisch aufführen, die beim Publikum erfolgreiche Uraufführung in Leipzig erfolgte 1906 allerdings in deutscher Übersetzung. In Karlsruhe darf man sich rühmen, Smyths erste Oper auf die Bühne gebracht zu haben: 1901 dirigierte Felix Mottl Fantasio (Quelle: hier bei der BLB), Mottls Frau sang mit. Nach drei Vorstellungen wurde das Werk wieder abgesetzt, die Begeisterung des Publikums schien sich in Grenzen zu halten. Mottl war übrigens ebenfalls ein Unterstützer Smyths, auf seine Vermittlung und Empfehlung hin erfolgte die Uraufführung in Weimar 1898.
Nach Fantasio und Der Wald war Strandrecht Smyths dritte Oper. Alle drei wurden in Deutschland uraufgeführt, Smyth äußerte, so die Musikforscherin Marleen Hoffmann, "daß sie in Deutschland nicht durch ihr Geschlecht benachteiligt worden sei. Das empfand sie in Großbritannien ganz anders.“ Smyth gehört bspw. zu den ersten Frauen, die die Berliner Philharmoniker dirigiert haben. Die Aufgeschlossenheit war auf dem Kontinent zu dieser Zeit größer als in Großbritannien.
Was ist zu sehen?
Wer ins Programmheft schaut, wird feststellen, daß der Regisseur Keith Warner die Handlung in eine apokalyptische Zukunft verlegt. Zum Glück ist das kaum bemerkbar, Ort und Zeit sind noch die diskutabelsten, aber nicht störenden Entscheidungen des Regisseurs. Die Szenerie wirkt eher heutig. Über alle drei Akte gibt es einen Einheitsinnenraum, der an das Innere eines Schiffs erinnert, nur das die runden Schotts aus so dickem Stahl sind, daß sie einem Banktresor ähneln. Warner macht aus der notleidenden, hungernden Dorfgemeinschaft eher eine brutale Räuberbande mit religiös verbrämten Anführer, Avis hat Spaß am Foltern und Morden. Die Verbrechen, die Suche nach dem Verräter und der Tod des Liebespaar wirken wie ein Thriller. Thirza und Marc sind die beiden Außenseiter der Bande, Thirza will nichts mit den Verbrechen zu tun haben und sagt das auch Pascoe, der sie dennoch liebt. Der erste und dritte Akt sind große Chorakte, der zweite ist ein tristanesk anmutendes Liebesduett zwischen Marc und Thirza, das von Warner durch große, geheimnisvolle, von oben sich herabsenkende Schränke unterstützt wird, die beim Öffnen mittels Videoprojektionen bzw. inhaltlich weitere Ebenen erschließen.
Wie so oft in Opern, geht das Liebespaar lieber gemeinsam in den Tod als zusammen zu flüchten. Eine suggestiv gelungene Umsetzung läßt auf der Bühne das Wasser steigen.
Und noch ein Vergleich mit einem unbekannten britischen Meisterwerk: Delius' Romeo und Julia auf dem Dorfe. Delius 1907 uraufgeführte Oper gelingt die Transzendenz in seinem lyrischen Meisterwerk, aber ihm fehlt die Spannung und die Sänger haben keine dankbaren Einzelrollen.
Was ist zu hören?
Musikalisch ist The Wreckers spätromantisch: der Schalldruck ist hoch, es stürmt und tost, brodelt und zischt, es passiert viel im Orchestergraben. Georg Fritzsch und die Badische Staatskapelle interpretieren die sehr dicht wirkende, stürmische Musik mit grandioser Rasanz ohne die Details zu vergessen. BRAVO! Eine Oper, die es lohnt zu hören.
Der Badische Staatsopernchor und Extrachor ist wesentlicher Akteur und steht und singt in den Eckakten viel und das beeindruckend. Endlich mal wieder eine Oper, die den Chor stark einbezieht! Die von Chordirektor Ulrich Wagner einstudierten Sänger wurde lautstark bejubelt.
Bei den Solisten hörte man eine so homogene Leistung, daß man kaum jemand hervorheben mag. Das Liebespaar besteht hier aus Tenor und Mezzosopran, der Sopran hingegen ist die böseste Figur der Oper. Für Dorothea Spilger ist Thirza eine Paraderolle, bei der sie ihre dramatische Wucht optimal zur Geltung bringen kann. Der neue Tenor Brett Sprague ist ein Gewinn für die Karlsruher Opern. Er hat auch die Titelfigur in Brittens Meisterwerk Peter Grimes gesungen, als Marc weiß er mit schönem Timbre und kraftvollen Steigerungen zu überzeugen. Beide packen das Publikum in den großen Duettszenen. Sängerisch und darstellerisch überzeugend gefiel auch Ralitsa Ralinova als ebenso leidenschaftliche wie bösartige Avis. Wie üblich souverän zeigten sich Konstantin Gorny als Dorfprediger Pascoe sowie Klaus Schneider und Armin Kolarczyk. Melanie Lang und Liangliang Zhao fügten sich in die kleineren Rollen nahtlos ein.
Chor: Ulrich Wagner
Ja, die Premiere war wirklich gelungen. Abstriche möchte ich zwar bei der Aussprache einiger Sänger sowie der Regie im ersten Akt (zugestellte Bühne, relativ plakative Personenführung) machen, aber nach der Pause waren das groß(artig)e Momente - nicht zuletzt dank des phantastischen Chores und Orchesters. Insbesondere Brett Sprague macht Lust auf viele weiteren Porträts. Beim Schlussduett musste ich weniger an "Andrea Chenier" als vielmehr an das Schlussduett in "Aida denken". Unabhängig davon macht es bei dieser Partitur Freude, Komponistenraten zu machen, vieles kennt man dann doch und stellt fest, dass es nicht Smyth ist, die kopiert, sondern der männliche Kollege.... Einzige Irritation meinerseits: wir konnten weder einen digitalen noch einen analogen Besetzungsaushang ausfindig machen. Wäre schade, wenn das die Regel bliebe - aber vielleicht hab ich's auch nur übersehen. Mein Fazit: so kann, so darf es gerne weitergehen.
AntwortenLöschenVielen Dank Herr Kaspar,
Löschendabei hatten die Sänger laut Programmheft einen Muttersprachler als Sprachcoach. Aber ich will nicht wissen, was Tschechen hören, wenn sie im Ausland Janáček-Opern besuchen. Der für mich weniger zugestellte, sondern eher gedrängte erste Akt gefiel mir sehr gut. Da ich immer wieder überrascht bin, wie viele Opernbesucher selbst in der Premiere keine Ahnung über die Figurenkonstellation und Handlung haben, ist das Plakative zur Verdeutlichung gar nicht so deplatziert. Schade, daß ich am Donnerstag abends schon Verpflichtungen habe, die B-Besetzung würde mich sehr interessieren.
@anonym
AntwortenLöschenVielen Dank für den Hinweis, daß man noch nicht mal mehr der Süddeutschen trauen kann. Beschwerden bitte an die Zeitung. Allerdings traue ich prinzipiell mehr Wissenschaft und Statistik und sehe die Soziologie nur als Ergänzung, deren Interpretation mich nicht immer überzeugen