Mitreißender Einstand
Ein wichtiger Hinweis vorab: der Vorstell- und Kennenlern-Ballettabend Tanzkraftwerk wird nur noch dreimal aufgeführt (und zwar am 11., 20. und 26. Oktober) - und das sollte man sich nicht entgehen lassen! Hier wird die Vorfreude auf die kommende Spielzeit so erfolgreich geschürt, daß es am Ende der Premiere stehende Ovationen und lautstarken Jubel für die neue Kompagnie und das Leitungsteam gab. Zehn Choreographien sind zu sehen, darunter jeweils drei von Kristina Paulin, die als neue Hauschoreographin eine besondere Rolle einnimmt, sowie vom neuen Ballettdirektor Raimondo Rebeck. Und den abschließenden Boléro von Maurice Ravel, mitreißend getanzt von allen 30 Tänzern des Badischen Staatsballetts, sollte man schon gar nicht verpassen.
Wie schon bei der beeindruckend gelungenen Eröffnungsgala des neuen Opernensembles, sprang gestern auch ein starker Funke von der Ballettkompagnie auf das Publikum über. Üblicherweise fand in den vergangenen Jahrzehnten die erste Ballettpremiere der Spielzeit Mitte November statt. In gewisser Weise auch dieses Jahr mit dem dreiteiligen Ballettabend Leuchtfeuer am 16.11. Doch vorab, nach nur wenigen Wochen des gemeinsamen Kennlernens, präsentiert man im Oktober bereits einen Kennenlernabend. Wer sich vorab fragte, wie das mit neuer Ballettdirektion und vielen neuen Tänzern nun schon Anfang Oktober möglich sein soll, lag richtig. Tanzkraftwerk ist zu ca. 70% ein Ballettabend und zusätzlich "ein locker moderiertes Format in ungezwungener Atmosphäre. Live-Interviews, Backstage-Videos und Making-of…-Reportagen bieten exklusive und spannende Einblicke in den Arbeitsalltag einer neu formierten Ballettkompagnie. Ein Abend, der Lust auf das neue Staatsballett machen soll." Und das gelang bravourös. Zu Beginn drohte der Abend kurzzeitig etwas verplappert zu werden, doch Raimondo Rebeck, zweifellos ein Ballettdirektor mit Moderationstalent, bekam rechtzeitig die Kurve, bevor die Hauptsache zur Nebensache wurde. Weiterhin wurden Grußbotschaften auf Video (von den Choreographen Mauro Bigonzetti, Jean-Christophe Maillot und Edward Clug) und schriftlich (von Ballettlegende John Neumeier) gezeigt. Rebeck und Paulin scheinen gut vernetzt.
Die neue Hauschoreographin Kristina Paulin eröffnete mit einem Ausschnitt aus ihrem am 16.11.24 uraufgeführten Ballett Das Schloß (nach Franz Kafka), der mit bearbeiteten Motiven aus Schuberts großer C-Dur Symphonie unterlegt einen spannenden Einstieg gab. Als kurzes Meisterstück erwies sich Ward No. 6, kraftvoll getanzt von Baris Comak und Ledian Sotto, bei dem es Paulin genial gelingt, die Stimmung von Michael J.Benjamins Song The Deal Has Long Gone Down als Männerduett auf die Bühne zu bringen. Bravo! Und der abschließende Boléro entwickelt weit mehr Sog als vor fünf Jahren Bridgets Breiners Seid umschlungen und riß buchstäblich das Publikum von den Plätzen. BRAVO! Ein vielversprechender und vorfreudeweckender Beginn.
Doch nicht nur Paulin choreographiert, sondern auch Ballettdirektor Raimondo Rebeck. Neben den zwei gefühlvollen Duetten Blind Dreams und How long is now verdient White Sleep zur genialen Musik von Philip Glass' Tiroler Klavierkonzert (hier zum Nachhören bei youtube) Aufmerksamkeit. Manchen wird das Stück bekannt vorkommen, in der Spielzeit 2011/12 (einem annus mirabilis des Karlsruher Balletts) bildete diese Musik das Herzstück des Balletts Momo von Choreograph Tim Plegge (hier ein Ausschnitt auf youtube). Rebeck hat hier eine großartige Choreographie geschaffen, die an manchen Stellen sogar an Momo erinnert, insbesondere die getragenen, aber schwebend weitergehenden Tänzerinnen waren auch in Momo zu sehen.
Ein kleines, aber umso helleres Juwel ist das Duett aus Radio und Juliet von Edward Clug. Eine ganz individuelle Tanzsprache, großartig präzise getanzt von Veronika Jungblut und Leonid Leontev. BRAVO! Da Clug auch eine Videobotschaft schickte, besteht Hoffnung, zukünftig ein ganzes Ballett des Rumänen in Karlsruhe zu sehen.
Birgit Keil und Vladimir Klos waren gestern im Publikum (ihr Abschied ist nun schon wieder über fünf Jahre her) und wurden während der Vorstellung von Rebeck begrüßt. Daß die Mitarbeit mit Keils Mannheimer Akademie des Tanzes fortgesetzt wird, wird viele freuen. Die Studenten bekamen gestern eine Uraufführung zur Darbietung, die sich spannend in den Abend einfügte.
Und auch zwei stark beklatschte Klassiker mit viel Spitzenschuhtanz kamen beeindruckend auf die Bühne: Marius Petipas Grand Pas de Deux aus Don Quixote, getanzt von Anzu Ito und Daniel Rittoles sowie Michel Fokines Schwan, getanzt von Dina Levin. Auch hier und unbedingt: Bravo!
Fazit: Ein grandioser Start in die neue Ballettsaison!
PROGRAMM:
Ausschnitt aus Das Schloß (Uraufführung)
Choreographie: Kristina Paulin
Komposition & Sounddesign: Davidson Jaconello
Mit: Lucia Solari, Carolin Steitz; Leonid Leontev, Vitor Oliveira, Daniel Rittoles, Philip Sergeychuk
Duett Blind Dreams
Choreographie Raimondo Rebeck
Musik: Ólafur Arnalds Undan Hulu
Mit: Natsuka Abe, Pablo Polo
Duett Ward No. 6
Choreographie: Kristina Paulin
Musik: Michael J.Benjamin The Deal Has Long Gone Down
Mit: Baris Comak, Ledian Soto
Whispers of the Dreamers (Uraufführung)
Choreographie: Louiza Avraam
Musik: Worakls Nikki, Kid Moxie Creep
Mit: Emily Pflumm, Erin Phillips, Eva Pijnenburg, Eleonora Ricci, Bojan Dimovski, Nikita Gaćinović, Liu Yunshuo, Xuehao Zhao (Studenten der Akademie des Tanzes Mannheim, Leiterin Agnès Noltenius)
Grand Pas de Deux aus Don Quixote
Choreographie: Marius Petipa
Musik: Ludwig Minkus
Mit: Anzu Ito, Daniel Rittoles
– Pause –
White Sleep
Choreographie: Raimondo Rebeck
Musik: Philip Glass Tirol Concerto for Piano and Orchestra, 2. Satz
Mit: Lucia Solari, Geivison Moreira, Ensemble des Staatsballett Karlsruhe
Duett How long is now
Choreographie: Raimondo Rebeck
Musik: Max Richter On the Nature of Daylight
Mit: Maria Mazzotti, Daniel Rittoles
Duett aus Radio and Juliet
Choreographie: Edward Clug
Musik: Radiohead Like Spinning Plates
Mit: Veronika Jungblut, Leonid Leontev
Der sterbende Schwan
Choreographie: Michel Fokine
Musik: Camille Saint-Saëns - Der Schwan aus Der Karneval der Tiere
Cello: Ben Groocock, Klavier: Angela Yoffe
Mit: Dina Levin
Boléro (Uraufführung)
Choreographie Kristina Paulin
Musik: Maurice Ravel
Ensemble des Staatsballett Karlsruhe
Liebe Honigsammler, seit Jahren bin ich Leser ihres Blogs , aber die Hintergrund im Mobile Version von der neuen Version ist einfach augenzerreisend.
AntwortenLöschenEin paar Cents: Seit wann Akademie des Tanzes nimmt die Name des Prof.Keil an sich?
Was John Neumeyer an den Abend vergessen hat ? Der darf sowieso keine Stücke kreieren oder einstudieren in 100 km Umkreis von Baden-Baden ( das ist nur aber ein Geruch)
Sonst wünsche ich Balletkompanie einen neuen Start und viel Erfolg.
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Sehr viele farbliche Möglichkeiten gibt es hier nicht, evtl. kann in den Kontrast der Schrift erhöhen. Ich experimentiere mal ....
LöschenNeumeier ist ja schon seit Jahren im Festspielhaus, wenn Paulin eine Neumeier-Choreographie bringen wollte, dann eine, die nicht in Baden-Baden zu sehen sein wird. Aber ich bin jetzt erst mal auf ein großes Handlungsballett von ihr gespannt, die ich für 2035/26 erwarte.