Vergnügtes Sängerfest
Wenn man Zweck und Mittel vertauscht, entsteht oft Zynismus. Im vergangenen Jahrzehnt wurden die Sänger oft zum Mittel reduziert zum Zwecke der Inszenierung und Selbstdarstellung von Regie und Intendanz. Beim neuen Don Pasquale ist die Inszenierung das Mittel zum Zweck von Musik und Gesang. Die Karlsruher Produktion von Donizettis gediegenem Klassiker ist als Buffa ganz aus dem Geiste der Musik inszeniert und ein Sängerfest für ein bemerkenswert auftrumpfendes Quartett. Die gelungene Premiere wurde mit viel Applaus für alle Beteiligten belohnt.
Worum geht es?
Die für die Bühne oft bearbeite Handlung beruht auf Ben Johnsons The Silent Woman. Stefan Zweig verfasste bspw. mit Die schweigsame Frau diesen Stoff für Richard Strauss' gleichnamige Oper.
Don Pasquale, ein wohlhabender älterer Junggeselle, will auf seine alten Tage noch heiraten. Doch zuvor schmeißt er seinen Neffen Ernesto aus dem Haus, der eine für ihn arrangierte lukrative Ehe ablehnt, da er in die nicht finanziell sonderlich liquide Witwe Norina verliebt ist, die er allerdings ohne das Vermögen des Onkels kaum heiraten kann. Don Pasquales Freund und Hausarzt Malatesta ist scheinbar auf Brautschau für Don Pasquale gegangen, doch er ist der Bruder Norinas und heckt mit ihr einen Plan aus. Sie soll eine Scheinehe mit dem Alten eingehen, um ihn zu ärgern und zu quälen, und um dann den Jungen doch noch zu bekommen. Malatesta vermittelt Norina an Don Pasquale als im Kloster erzogene Sofronia. Don Pasquale ist begeistert, ein falscher Notar setzt den Ehevertrag auf, der noch nicht eingeweihte Ernesto ist entsetzt. Doch die schüchterne Klosterschülerin Sofronia entpuppt sich nach der Heirat als Hausdrachen, schmeißt sein erspartes Vermögen aus dem Fenster und macht dem Gatten das Leben zur Hölle. Durch eine weitere List der Intriganten erlaubt Don Pasquale seinem Neffen, mit seiner Verlobten Norina ins Haus zu ziehen, da Sofronia sich weigert, mit einer anderen Frau zusammen im Haus zu leben und mit der von Don Pasquale erhofften Scheidung droht. Matatesta offenbart schließlich die Zusammenhänge. Don Pasquale macht gute Mine zum bösen Spiel, um endlich wieder Ruhe einkehren lassen. Ernesto und Norina können heiraten.
Historisches
Donizettis (*1797 †1848) späte (seine drittletzte vollendete) Oper hat sich stets auf der Bühne gehalten. Andere seiner Opern verschwanden und wurden wiederentdeckt, der Liebestrank und Don Pasquale hatten andauernden Erfolg, zusammen mit Rossinis Barbier von Sevilla, Verdis Falstaff und Puccinis Gianni Schicchi bilden sie das Erfolgsquintett der italienischen Opera Buffa. Die Uraufführung von Don Pasquale erfolgte 1843, bereits im Jahr darauf gab es Donizettis Meisterwerk am Großherzoglichen Hoftheater zum ersten Mal.
Don Pasquale, zum ersten Mal am 29.08.1844 in Karlsruhe (Quelle: Badische Landesbibliothek (hier), neu einstudiert dann 1850, 1856, 1873, 1892, 1894, 1898, 1917, 1925 und 1929. Es wurde viel Donizetti in Karlsruhe gegeben, besonders beliebt waren Die Regimentstochter und Lucia di Lammermoor, mit Abstand folgen La Favorite, Liebestrank, Don Pasquale und Belisario. Weniger Resonanz und geringe Aufführungszahlen erlebten Lucrezia Borgia, Dom Sébastien, Linda di Chamounix, Anna Bolena und Maria di Rohan |
Was ist zu sehen?
Operndirektor Christoph von Bernuth, der sich mit Don Pasquale in Karlsruhe als Regisseur vorstellt, versucht erst gar nicht, das Bühnengeschehen mit irgendetwas aufzuladen, zu überfrachten oder zu überinterpretieren und sich mit der Inszenierung in den Vordergrund zu drängen. Es ist, was es ist, eine altmodische Geschichte, die zeigt, daß vor 200 Jahren der Adel an Macht verlor, das Bürgertum zu Geld und Einfluß kam und arrangierte Ehen damals schon nicht mehr den besten Ruf hatten. 2005 veröffentlichte der damalige und damals bereits über sechzigjährige ARD-Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert ein Buch mit dem Titel "Der Ehrliche ist der Dumme. Über den Verlust der Werte". Don Pasquale könnte man Donizettis Versuch bezeichnen, den Untergang von Werten als Dramma buffo darzustellen. Der Regisseur sieht laut Programmheft "eine starke Parallelität zu Lampedusas Roman 'Der Leopard' (Il gattpopardo) ..., in dem ein ähnliches Lebensgefühl des Fürsten Don Fabrizio beschrieben wird: Er spürt, wie nicht nur seine persönliche Zeit zerrinnt, sondern seine ganze Epoche zu Ende geht. Deshalb stand er gedanklich Pate für unser Verständnis der Pasquale-Figur – vor allem in der großartigen Verfilmung von Visconti." Aber das geht fast schon zu weit, es sind Anleihen, die man kaum bemerkt. Die Bühne ist eher karg, Don Pasquale trainiert auf einer Rudermaschine, ein altes Bild mit den Ruinen des Kolosseums, Sofa, Sessel, Tisch, Töpfe mit Grünpflanzen - es braucht nicht viel. Die Welt Norinas ist mondäner, ein bühnenbreiter überdimensionierter Schuhschrank mit fast 600 Paar Schuhen (mehr dazu hier) zeigt ihre bestehende Leidenschaft für Mode, doch aus das hat keine tiefenpsychologische Auswirkungen. Bernuth will unterhalten und hört auf die Musik, die er in das Agieren und Bewegen der Figuren übersetzt. Und dabei geschieht dann das, was bei dieser harmlosen und entspannten Inszenierung am gelungensten ist: Die Sänger treten in den Vordergrund und sorgen für ein kurzweiliges Vergnügen.
Was ist zu beachten?
Diese Produktion ist ein Mitbringsel aus Oldenburg, wo sie vor vier Jahren im Herbst 2020 während der Covid-Epidemie Premiere hatte, damals verzichtete man virusbedingt auf den Chor, der nur eine sehr kleine Rolle hat. "Dafür haben wir eine zur Inszenierung passende Alternative gefunden: Ein Wendepunkt in Viscontis Gattopardo ist die Ball-Szene, in der die junge aufstrebende Generation zu einem Walzer von Verdi tanzt. Filmkomponist Nino Rota hatte dafür einen Klavierwalzer von Verdi orchestriert. Diese Walzermusik lassen wir nun immer wieder in Orchesterpassagen des ursprünglichen Donizetti-Chores einbrechen: eine Collage aus Verdi, bzw. Nino Rota und Donizetti, die Vito Cristofaro für unsere Inszenierung erstellt hat." Das hat man in Karlsruhe beibehalten.
Als Klamaukelement hat man sich als stumme Rolle den Kammerdiener aus dem Silvester-Fernsehprogramm „Dinner for One oder Der 90. Geburtstag“ geborgt, samt Tigerfell mit Kopfstolperfalle.
Die Übertitel sind übrigens diesmal keine 1:1 Übersetzung des Gesangtextes, sondern amüsante Interpretationen und Kommentare zur Handlung.
Was ist zu hören?
Gastdirigent Sebastian Schwab kam mit Krücken auf die Bühne gehumpelt, doch beim Dirigieren war keine Lahmheit zu spüren, die Badische Staatskapelle musizierte farben- und facettenreich.
Für die Titelrolle hat man einen Gast engagiert: der Italiener Donato di Stefano ist ein idealer Buffo-Baß und Darsteller, der prädestiniert ist für Rollen wie Bartolo, Don Magnifico, Gianni Schicchi und Don Pasquale. Bereits sein Ah! Un fuoco insolito nimmt man ihm ab, er träumt sich jung und wird zur tragischen Figur.
Es bereitet große Freude, Martha Eason als selbstbewußte, starke Norina zu beobachten und zuzuhören. Die junge Amerikanerin verfügt über eine starke Ausstrahlung und einen höhensicheren Sopran und findet das richtige Maß: ihre Norina ist verführerisch und keck, launisch und spontan. Ihre Auftrittsarie Quel guardo il cavaliere hat großen Charme, ihre Darstellung Esprit. Eason präsentiert sich als ideale Norina.
Tenor Beomjin Angelo Kim ist als Ernesto präsent uns präsentiert sich grandios klangschön und scheinbar unangestrengt mit eleganter Phrasierung, Cercherò lontana terra im 1. und Com'e gentil (auch ohne Chor schön) im 3. Akt waren Höhepunkte der Premiere.
Leonardo Lee ist ein durchtriebener aber auch klangschöner Malatesta, Bella siccome un angelo ist tatsächlich von balsamischer Schönheit. Lee ist aber auch ein starker Darsteller, auf seinen Auftritt als Scarpia in Tosca darf man jetzt schon gespannt sein.
Besetzung und Team
Don Pasquale: Donato Di Stefano
Malatesta: Leonardo Lee
Ernesto: Beomjin Angelo Kim
Norina: Martha Eason
Notar: César del Río Fuentes
Kammerdiener: Mykola Pavlenko
Musikalische Leitung: Sebastian Schwab
Regie: Christoph von Bernuth
Bühne: Piero Vinciguerra
Kostüme: Mathilde Grebot
Licht: Stefan Woinke