Mittwoch, 28. August 2024

Rückblick: Zuschauerstudie 2023

Das Theater der alten biodeutschen Frauen
Dem scheidenden Interimsintendanten Ulrich Peters scheint das Lob zu gebühren, das Badische Staatstheater nach den beiden Krisen (abgesetzter Intendant und Virusepidemie) nach innen und außen wieder in ruhiges Wasser gebracht zu haben, die Publikumszahlen stagnierten in der letzten Spielzeit auf niedrigem Niveau. Nach der Beendigung der Covid-Beschränkungen hatte das Theater einen Publikumsverlust von ca. 20% - womit man dem Bundestrend entsprach. Interessant ist, daß dieser Zuschauerschwund nicht pauschal war, sondern von Sparte zu Sparte unterschiedlich ausfiel. Das Konzertpublikum blieb treu und verringerte sich kaum, auch die Oper blieb stabil und verlor moderat. "Besonders betroffen sind Schauspiel (ca. -42 %) und Tanz (ca. -27 %)", so die letzte Publikumsstudie. Daß Anna Bergmann und Bridget Breiner ersetzt wurden, ist also eine Chance, wieder an Attraktivität zu gewinnen. Wer besucht eigentlich das Badische Staatstheater?

Laut letzter Zuschauerumfrage sind ca. zwei Drittel des Publikums weiblich und ca. ein Drittel männlich, über 70% des Publikums ist über 50 Jahre alt, ca. 92% sind von Geburt deutsch - das Theater ist grob gesagt die Bastion alter deutscher Frauen. Insbesondere das Ballett hat zu ca. 75% weibliche Zuschauer. Knapp die Hälfte des Publikums wohnt in Karlsruhe (Stadt), ein Viertel im Landkreis Karlsruhe und ein Viertel in den angrenzenden Landkreisen in Baden-W. und der Pfalz. Karlsruhe hat besonders treue Abonnenten: 13% besuchen mehr als 12 Vorstellungen im Jahr, 59% gehen in 7 bis 12 Vorstellungen, fast die Hälfte des Gesamtpublikums stellt dieser Besucherstamm. Das Theater ist also sehr gut beraten, die Abonnenten besonders zu umsorgen und ihnen bspw. zukünftig vor dem offiziellen Vorverkauf bereits einen zeitlichen Vorsprung für den Bezug von Eintrittskarten anzubieten. 

Obwohl Karlsruhe aufgrund der renommierten Universität eine junge Stadt ist, hat man also auch hier -wie fast überall in den bundesdeutschen Theatern- ein altes Publikum. Es scheint eine gewisse Reife zu benötigen, um einen Draht zur Hochkultur zu bekommen und kulturelle Bildung zu schätzen. Das war aber schon immer so, zumindest aus eigener Anschauung aus über 35 Jahren als Karlsruher Stammzuschauer hat sich der Altersschnitt nicht wesentlich geändert. Das Theaterpublikum hat manche der Zumutungen des Lebens bereits hinter sich und stellt sich mit Unterstützung des Theaters der zweiten Lebenshälfte. Die in den letzten Jahren so oft vom Theater präsentierte Floskel "Theater für alle" sollte nun aber endgültig als grundfalsch abgetan werden. Denn gerade das am stärksten vernachlässigte Publikum -Männer unter 50- hat man bisher (manche meinen: durchaus mit gutem Grund) kaum auf dem Radar. Die Universität Karlsruhe (KIT) hat bspw. einen Frauenanteil von knapp 30%, ca. sieben von zehn Studenten in Karlsruhe sind männlich. Doch (kulturelle) Bildung ist wenig gefragt, gerade in jungen Jahren scheint die Lebensform sehr präsentisch und normiert, wobei man kaum über den frisch in der Selbstfindung definierten Tellerrand blickt. Sich auf das falsche Publikum zu konzentrieren, wird nicht erfolgreich sein. Es wird vermutlich auch zukünftig eine Lücke zwischen den Generationen geben. Das Kindertheater profitiert von Zwangsbesuchen durch Schulen, freiwillig werden nur wenige an einen Ort kommen, der mit Zwang und Pflicht verbunden wird. Ob man das Kindertheater nicht den anderen Bühnen in Karlsruhe überlassen sollte, bleibt diskutabel.
Die Mitte (Ü30)  findet nur gelegentlich Zeit, das Publikum Ü50 scheint bisher besonders theateraffin und damit das wichtigste Zielpublikum. Das Label Migrationshintergrund steht wiederum für eine so heterogene Gruppe, daß sich daraus nur Kleingruppen ableiten lassen. Musik und Tanz sind international, gerade hier gibt es keine Hindernisse für Menschen mit Migrationshintergrund (außer, daß sie kein Interesse daran haben oder (noch) nicht in die übliche Altersgruppe passen). Nur das Schauspiel legt mit erforderlichen deutschen Sprachkenntnissen eine Hürde, die sich oft auch ästhetisch ausdrückt.  

Eine Abschweifung zum Schluß: Was sich über vier Jahrzehnte geändert hat, ist eher eine stilistische Verwahrlosung im Publikum. (Die Verplattung und Verdämlichung vieler Inszenierungen sei hier nicht erneut betrachtet). Der Verfasser dieser Zeilen zieht seit geraumer Zeit immer wieder in Betracht, ein Instagram-Konto zu eröffnen, auf dem Fotos der geschmacklosesten Entgleisungen im Publikum veröffentlicht werden. Das Theater als "Wohnzimmer für die Stadt" (noch so eine gedankenlose Floskel) hat zu einer amüsanten Entförmlichung im Erscheinungsbild der Zuschauer geführt. In den letzten 20 Jahren ist die Krawatte fast verschwunden, mehr männliche Zuschauer sind deswegen anscheinend nicht ins Theater geströmt, dafür wirken manche formloser, als ob sie gerade auf dem Weg vom Sofa an den Kühlschrank sind. Einst war der Theaterbesuch etwas besonderes, für das man äußerlich ein gewisses Niveau einhielt, inzwischen sehen manche Besucherinnen aus, als ob sie gerade mit Staubsaugen fertig sind und noch schnell beim Supermarkt etwas einkaufen wollen.  Andere zwängen sich in Kostüme, in denen sie in den 1990er zweifellos topmodisch waren. Wie sich der wirtschaftliche Niedergang und die steigenden Eintrittspreise auswirken, bleibt abzuwarten. Die Politik scheint aktuell alles zu machen, um Preise zu erhöhen und Wohlstand und das Einkommen der Bundesbürger zu senken.  Die politisch gewollte Verarmung trifft auch das Theaterpublikum, das sich öfters mal überlegen wird, ob mache Eintrittspreise wirklich angebracht sind und wie man sich dafür kleidet.