Sonntag, 9. Februar 2025

Benbenek - Tragödienbastardin, 08.02.2025

Migration als Unglück und Geschwafel
Re-/Migration ist ein Thema im Wahlkampf der vorgezogenen Bundestagswahl und der Zufall wollte es, daß das Karlsruher Schauspiel gestern, 15 Tage vor dem Urnengang, ein migrationskritisches Stück auf die Bühne des Studios brachte. Autorin Ewe Benbenek (1985 in Polen geboren) kam selber als Kind mit ihren Eltern in die Bundesrepublik und hat mit Tragödienbastardin eine Satire auf den Viktimismus der politischen Linken und die als Narrative bezeichneten ideologischen Fiktionen im Allgemeinen und über das heuschlerische Opferverwertungsklimbim der deutschen Theater im Speziellen geschrieben. Das Betriebsgeheimnis des Stücks ist Bestandteil von Benbeneks Text: "Ja, ja, diese Story, diese migrantisch-authentische, diese schöne migrantisch-authentische Story, die ist gut, die läßt sich heute gut verkaufen, diese Story, bei der kann es dann endlich mal wieder kling bim kling bim machen, in den Kassen, in den Kulturkassen". Benbenek liefert den Theatern Klimbim in Form eines gefühligen Selbstbespiegelungsmonologs für drei weibliche Stimmen, indem sie im Titel Migration provokativ als gefühlte Tragödie und das Aufwachsen zwischen zwei Kulturen mit einem illegitimen Bastarddasein vergleicht. Doch der Titel übertreibt maßlos, eine Tragödie liegt nicht vor, eher das Luxusproblem, eine Anpassungsleistung zu erbringen, und das Gefühl, illegitim zu sein, erklärt sich im Text aus dem Minderwertigkeitsgefühl der Immigranten, die mit den Ansprüchen und Gepflogenheiten des Wirtsvolkes hadern. Benbenek unterläuft die Erwartungshaltung an eine migrantisch-authentische Story durch Banalisierung. Migration scheitert aus diversen Gründen, hier sind es schlicht psychologische Barrieren: Widerstände bedrohen scheinbar das eigene Selbstwertgefühl. Doch Mikroaggressionen, Kränkungen und Zurückweisungen sind kein Ausdruck von pauschaler Ablehnung. Die Karlsruher Inszenierung kommt Benbeneks Text leider nicht wirklich auf die Schliche und inszeniert zu oft  Wehleidigkeit und Leere, wo Satire und Komik angebracht wären. Wer sich nicht nur unkritisch berieseln lassen will, muß Geschwafel ertragen.

Worum geht es?
Ein Monolog, verteilt auf drei namenlose weibliche Figuren. Es passiert dabei wenig, keine Konflikte werden ausgetragen, keine Positionen konkurrieren, es ist eine sich nie ans Eingemachte wagende Selbsterzählung ohne antagonistische Hinterfragung, die die migrantisch-authentische Story belanglos bedient. Die drei Personen ergänzen, bestätigen und unterstützen sich gegenseitig in ihrer Gefühlslage. Es wird erklärt, behauptet, rechtfertigt, verteidigt - aber es fehlt die reflexive Tiefenforschung. Benbenek lässt uninteressante Figuren erzählen: Der jährliche Besuch in Polen, bei dem man sich fremd fühlt (aber auch nicht fremder wie jeder andere, der an einen Ort der Kindheit zurückkehrt und sich durch vergangene Engen drückt), der familiäre Rechtfertigungsdruck, unverheiratet, kinderlos und "Letztgeborene" zu sein, der polnische Katholizismus der Großeltern, ein traumatisches Kriegserlebnis, die Langsamkeit der altwerdenden Eltern, der Protest gegen das "Narrativ vom goldenen Westen", weil man selber nicht weiß, wie es ist, unfrei, eingeschlossen und gefangen zu sein, und zu borniert ist, die Errungenschaften der Freiheit zu erkennen. Die Figuren leiden am eigenen psychischen Zustand, persönlichen Defiziten, Unausgeglichenheit ("das Gefühl von Struggle, obwohl doch alles gut ist.") und Wut, die bühnengerecht gewinnbringend  im Migrationshintergrund verortet wird. Man klagt über die Schule ("reingepresst in das Migrantenkind-Narrativ"), die falsche Berufswahl und die finanzielle Mittellosigkeit ("wenn die Nacht kommt ... und wir Tränen vergießen .. an den Tag, der uns gebeugt, der uns eingequetscht, der uns eingeklemmt und eingezwängt hat" - ach jehchen, das klingt alles so wehleidig wie: können nicht andere meinen Lebensunterhalt für mich verdienen?), die Scham gegenüber den Eltern, die bei Null neu angefangen haben und gearbeitet haben, während die mittellose Tochter nun Geld vom Staat beantragt. Auch aus feministischer Sicht scheint es überall auf der Welt besser zu sein als in Zentraleuropa ("so einfach gar keinen Bock mehr auf das Narrativ von der Frau, von der freien Frau, weil der goldene Westen sie nicht frei gemacht hat"). Die Vulgarität der sogenannten Willkommenskultur wird entlarvt, die dazu diente, billige Arbeitskräfte für die Drecksarbeit ins Land zu holen ("eure kleinen, dreckigen Narrative, die ihr immer so einsetzen tut, wie es euch gerade paßt, ... Menschen zu Menschen zweiter Klasse zu machen, die dann bitte nicht viel reden, die dann bitte viel arbeiten, damit ihr es nicht müßt"). Doch der Gedanke bleibt ebenso blaß wie die ganze restliche Suada im Stile einer Elfriede Jelinek, die einen schlechten Tag erwischt hat.

Auch das Opfer-Narrativ will nicht funktionieren: "Und dann sprichst du, und du sprichst und sprichst ... und sie sagen, was du da sprichst, das verstehen wir nicht. Die Worte, die du sprichst, die erklären das nicht, was du zu erklären versuchst." Wenn selbst eine Autorin nicht die richtigen Worte findet, liegt es vielleicht daran, daß sie nicht das Richtige erklärt. Benbenek will gar nicht wirklich erklären, sondern das Opfer-Narrativ entlarven. Doch auch wenn Selbsterkenntnis vorhanden ist ("weil wir hier gar nicht hingehören, weil wir hier gar nicht dazu gehören wollen"), das Anderssein als Verletzung, aus der man keine Kraft ziehen kann, ist eine subjektive Einschätzung, die hier migrationskritisch wird. Letztendlich besteht das migrantische Trauma in diesem stück aus zwei Belanglosigkeiten: einer Schulbewertung, die dem Kind bescheinigt, zu langsam zu sein, und einer vulgären Beleidigung der Mutter durch eine nicht näher benannte, gleichgültige Person, die als pseudo-schlimmes Erlebnis aufgebläht wurde. Das war's! Migrant in der Bundesrepublik zu sein, schien damals relativ harmlos und nur mit viel dramaturgischer Mühe wird daraus eine migrantisch-authentische Story.

Auch der Jargon des Texts ist komisch, bsp. Sätze und Worte, die die Figuren in ein Milieu pressen, Codes die zeigen, daß man unter sich bleiben will, Anglizismen ohne Mehrwert, die keinen tieferen Bedeutungssinn offenbaren. Alle drei Stimmen schwingen sich im Chor zu pathetischem Murks auf: "Ich bin eine Göttin, ich bin eine Göttin der Nacht, und gehöre zu ihnen, gehöre zu den Schwestern, die ich mir ausgesucht habe, und die mich ausgesucht haben, die Kreaturen sind, die Bastardinnen sind, die sich ihre Götterbilder selbst gebaut haben, dich sich selbst zu Göttinnen erklärt haben." Uiuiuiuiuiuiui! Man stelle sich vor, diesen Text würden drei männliche Migranten aufsagen: Ich bin ein Gott, ich bin ein Gott der Nacht, und gehöre zu ihnen, gehöre zu den Brüdern, die ich mir ausgesucht habe, und die mich ausgesucht haben, die Kreaturen sind, die Bastarde sind, die sich ihre Götterbilder selbst gebaut haben, dich sich selbst zu Göttern erklärt haben. Das würde wie ein dämlich tribales Wichtigtuertum klingen. Das kann man eigentlich nur als Satire inszenieren, denn alles andere klingt lächerlich, vor allem im Kontext dieses Textes. Alternativ könnte man inszenatorisch versucht sein, die drei Monolog-Stimmen auf eine dissoziative Identitätsstörung zurückzuführen.

Was ist zu sehen?
Brit Bartkowiak ist seit dieser Spielzeit Oberspielleiterin am Karlsruher Schauspiel und stellte sich gestern dem Publikum als Regisseurin vor. Leider ist ihre Inszenierung sehr brav und sehr bieder geworden. Manches ist ja ganz nett, aber man folgt dem Text zu unkritisch und humorlos. Es gibt Produktionen an Hochschulen und von Laientheatern, die in tiefere Schichten vorstoßen. Der Blick hinter das Migrantendasein und jenseits des Migrantendaseins aufs Persönliche hätte die Figuren entlarven können, ihre Komik und auch die Lächerlichkeit des Textes viel stärker in den Fokus stellen können. Auch die drei Schauspielerinnen haben es bei dieser Produktion nicht leicht, sie mühen sich redlich gegen die Inszenierung ab, verblassen aber auch angesichts der Belanglosigkeit des Textes und der fehlenden Komik.

[Abschweifung: Vor einem Jahr hatte Yasmina Rezas Kunst im Studio Premiere, bei der drei männliche Schauspieler ihre Figuren lächerlich machen mussten. Nun war das Schauspiel unter Anna Bergmann stark von Ressentiments und Häme geprägt, und es ist höchste Zeit, die Phase der theatralen Niedertracht hinter sich zu lassen, doch ein bißchen mehr Selbstentlarvung der Opfernarrative hätte man bei Tragödienbastardin schon aufgreifen können. Überhaupt ist es höchste Zeit, weniger Klienteltheater zu produzieren. Auf der Höhe der Zeit wäre das Karlsruher Schauspiel dann, wenn es sowohl Kunst als auch Tragödienbastard identisch angelegt und sprachlich angepasst in zweifacher Besetzung zeigen würde: einer rein weiblichen und einer rein männlichen. Denn erst dann würde manchen erst klar werden, wie voreingenommen die Inszenierungen sind.]

Fazit: Um im Text zu bleiben: "Sein wir doch mal ehrlich, zwinker, zwinker": Drei namenlose Sprecherinnen erzählen eine monologische Geschichte, die keine dramatische Fallhöhe hat, nichts Ungewöhnliches enthält und in der die Figuren sich psychologisch-charakterlich nicht hinterfragen.   Eine Text über die harmlosen Zumutungen, sein eigenes Leben zu führen und die Wehleidigkeit, Entscheidungen zu treffen und dafür einzustehen. Das Stück wirkt wie ein Pfeifen im Walde, eine Selbstermutigung, doch ohne die Courage, sich zu hinterfragen. Das ist wenig interessant, wenig originell, und wer zu viel Zeit und Geld hat, kann es besser anlegen als in einen Besuch dieser Inszenierung. 

Besetzung und Team:
Mit: Laman Leane Israfilova, Swana Rode, Rebecca Seidel
 
Regie: Brit Bartkowiak
Bühne & Kostüme: Hella Prokoph
Musik & Einrichtung Sprechchöre: Jeremy Heiß