Dienstag, 4. Februar 2025

4. Symphoniekonzert, 03.02.2025

Zu viel des Guten ist bekanntlich wundervoll. Als langjähriger, sogar jahrzehntelanger Konzertabonnent wirkt es deshalb immer noch seltsam: ein pausenloses Symphoniekonzert mit genau einem Werk, wo man zuvor in der Regel mindestsens zwei zu hören bekam. Früher wurde mehr konzertiert und die Kürzungen im Konzertprogramm wirken irgendwie symptomatisch für eine Zeit des allumfassenden Schrumpfens: man muß sich in vielerlei Hinsicht daran gewöhnen, sich mit weniger zu begnügen. 

Gustav Mahlers 6. Symphonie in a-Moll, oft auch als seine Tragische bezeichnet, wurde von der Badischen Staatskapelle zuletzt in der Spielzeit 2003/04 gespielt. Anthony Bramall dirigierte und der damals zwölfjährige Frank Düpree debütierte im Großen Haus mit Mozarts Konzertrondo KV 382. Danach dirigierte Bramall  Anton Weberns Sechs Orchesterstücke op.6 und nach der Pause gab es dann Mahlers Sechste. 

Die energiegeladene 6. Symphonie mit ca. 85 Minuten Spielzeit hat einen hohen inneren und äußeren Spektakelwert und kann zugegebenermaßen alleine stehen, wenn sie mit hoher emotionaler Intensität musiziert wird. Dies war gestern nur bedingt der Fall. Die Tragische bezieht ihre Tragik aus den Spannungen zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Privatem und Öffentlichen, zwischen der Sehnsucht nach Idyll in einer Welt voller Kämpfe und Angst. Am kathartischen Ende steht weder Apotheose noch Hoffnung, große Hammerschläge stehen für Schicksalsschläge, doch die Symphonie endet nicht mit einem Hammerschlag, denn nicht die Niederlage des Individuums, sondern der Sieg eines unerbittlichen Schicksals über das Individuum steht im Zentrum.

Der Beginn des Allegro energico, ma non troppo ist ein martialischer, marschartiger Rhythmus. John Barbirolli dirigierte ihn wuchtig und grob (hier bei youtube), Leonard Bernstein hingegen mit viel höherem Tempo als ein gehetztes Mitgerissenwerden (hier bei youtube). Wer beide auf ihre Weise als Referenz betrachten wollte, der war gestern wahrscheinlich von einem undifferenziert und lärmend wirkenden ersten Satz enttäuscht, bei dem GMD Georg Fritzsch keinen organischen Pfad durch die Brüche und Ausbrüche der Partitur fand und zu pauschal über manches hinweg eilte.
Als Ballett könnte das Scherzo ein tanzender Tod sein, thematisch eng, aber vielfältig in der Gestalt. Es erklang gestern angemessen grotesk und düster, aber dennoch wirkten die Kontraste ein wenig zu fahl.
Das Andante moderato ist einer der emotionalsten und poetischsten Sätze in Mahlers Werk und wirkt wie ein Intermezzo. Er ist einer  Innenwelt als Ruheraum der Seele gewidmet und Mahler hat dafür eine Idylle mit Kuhglocken komponiert, die um die Außenwelt weiß und die sich sehnt, den friedlichen Moment festzuhalten und zu verlängern, doch die Verzweiflung versucht immer wieder, die Sehnsucht zu überschatten. Dieser Satz war gestern das emotional intensive Zentrum des Konzerts, bei dem die Musiker der Badischen Staatskapelle groß aufspielten.
Das Finale Sostenuto – Allegro moderato – Allegro energico ist der längste Satz mit schicksalhaften Wendungen und als große Hammerschläge komponierte Schicksalsschläge, die letztendlich fatal sind. Der große Bruno Walter, der zu Beginn seiner Dirigentenkarriere Assistent von Mahler war, sah das Werk aufgrund seiner düsteren Schicksalsschwere skeptisch: "Die Sechste ist die persönlichste seiner Symphonien und eine prophetische zugleich. In ihr hat Mahler sein eigenes Schicksal vorausgeahnt. Die Schicksalsschläge im Finale sind erschütternd, aber ich fragte mich damals, ob es nicht zu viel des Tragischen war." Ob zu viel der Tragik, mag jeder individuell beantworten. Gestisch ist das Finale aufgrund seiner Anspannung, Rauschhaftigkeit und Destruktivität einer der grandiosesten Symphoniesätze überhaupt, ein spannungsgeladener Thriller ohne glückliches Ende. Auch dieser Schlußsatz wirkte gestern stimmig, Fritzsch gelangen die Steigerungen und das abrupte Aufbäumen sowie die gestische Unerbittlichkeit.

Die Badische Staatskapelle hatte gestern viel zu bieten: acht Hörner, sechs Trompeten, vier Posaunen, je fünf Flöte, Oboen, Klarinetten und Fagotte, dazu zehn Schlagzeuger für Becken und Trommeln, Glockenspiel, Kuhglocken, Rute, Hammer, Triangel, Tamtam und Xylophon, weiterhin zwei Harfen und Celesta sowie große Streicherbesetzung. Das Ergebnis klang entsprechend imposant. Mahlers 2. Symphonie in der letzten Spielzeit gelang Fritzsch allerdings homogener als gestern die Sechste.