Samstag, 22. Februar 2025

Händel - Rinaldo, 21.02.2025

Zwischen Effekten und Affekten
Vielversprechend war, was man über den neuen Rinaldo vorab zu hören und sehen bekam. Und tatsächlich ist der neue Rinaldo bemerkenswert in vielerlei Hinsicht: Bühne und Kostüme sind  einfallsreich, viele szenische Veränderungen und Kostümwechsel lassen keine Langeweile aufkommen. Der Regisseur läßt es sich allerdings nicht ganz nehmen, das Publikum zu quälen, und auch sängerisch und musikalisch ist man nicht durchgehend im Goldstandard. Doch auch wenn die visuellen Effekte stärker in Erinnerung bleiben als die musikalischen Affekte, ist der neuen Festspielleitung ein sehenswerter und stark applaudierter Einstieg bei den Karlsruher Händel Festspielen gelungen.

Worum geht es?
Ort und Zeit: Die Eroberung Jerusalems währen des 1. Kreuzzugs im Jahre 1099
Kreuzritter Rinaldo will endlich seine geliebte Almirena heiraten, Tochter des Heerführers Gottfried von Bouillon (Goffredo), doch zuvor bekommt er es mit der Zauberin Armida zu tun, die die Gegner unterstützt. Sie entführt Almirena. Als Rinaldo vor Armida erscheint, um Almirena zurückzufordern, verliebt sie sich in ihn. Rinaldo weist sie zurück, obwohl Armida eine magische List ergreift: sie verwandelt sich in Almirena, um ihn zu sich zu locken. Armidas Liebhaber Argante verliebt sich wiederum in Almirena. Mit Hilfe eines anderen Magiers gelingt es Rinaldo, Almirena zu befreien und seine Gegner zu besiegen.

Historisches
Händels (*1685 †1759) lange Komponistenkarriere erlebte Aufs und Abs, doch zu Beginn stand ein grandioser Erfolg. Rinaldo war am 24.02.1711 Händels erste in London aufgeführte Oper und der Grundstein für seine weitere Karriere. Die Aufführungen sowie die Bühnenausstattung waren 1711 spektakulär, Rinaldo war Entertainment und Theatermagie, und Händel wurde zum Star. Noch heute gilt Rinaldo neben Julius Cäsar als beliebteste seiner 39 überlieferten Opern. 20 Jahre später überarbeitete Händel die Oper umfänglich und reduzierte Prunk und Pomp (interessanterweise nimmt man nun diese effektreduzierte Version, um eine besonders effektvolle Inszenierung zu zeigen). Eine Figur wurde von Händel gestrichen (Eustazio), die Handlung und viele Stimmlagen verändert, manche beliebte Arie und Zwischenmusiken gestrichen. 1731 sang bspw. der Starkastrat Senesino, der eine tiefer sitzende Stimme hatte als der Premierensänger Nicolini. Rinaldo wurde also vom Soprankastrat zum Altkastrat, Armida wurde vom Sopran zum Mezzo, Goffredo wurde vom Alt zum Tenor, Argante wurde vom Bass zum Alt und der Mago vom Altkastraten zum Bass. Almirena ist in beiden Versionen Sopran. Diese sehr selten gespielte Version von 1731 nimmt der neue Operndirektor und Leiter der Händel Festspiele Christoph von Bernuth, um im ersten Jahr seiner Amtszeit kein Risiko einzugehen und eine der beliebtesten Opern von Händel zu präsentieren. Doch man sollte sich nichts vormachen: 1711 ist der bessere Jahrgang und 1731 definitiv vorzuziehen!

Was ist zu sehen?
Regie, Bühne und Kostüme - alles aus einer Hand. Hinrich Horstkotte hat einen modernisierten barocken Ansatz gewählt, der szenisch aus Rinaldo das machen will, was bereits vor drei Jahrhunderten erreicht wurde: ein illusionistisches Bühnenspektakel, bei der die Regie allerdings ganz zeitgemäß die drei Zeitebenen der Oper - Handlungs-, Entstehungs- und Interpretationszeitpunkt - kombiniert. Das gelingt nicht durchgehend optimal. Man ist in Jerusalem (in Hintergrund sieht man den Felsendom), es gibt Kreuzritter und Sarazenen, doch der Beginn wirkt wie eine Hanswurstiade, ein gezwungen wirkender Versuch, komisch zu sein. Das legt sich zum Glück bald wieder. Danach beginnt ein ausgeprägter, langer, einfallsreicher Mittelteil. Die gemalten Bühnenbilder und Kostüme nehmen barocke Elemente auf  und unter Hinzuziehung von bspw. Videoeinspielungen und Nachbauten sieht man liebevolle Details: Vögel fliegen, Fische schwimmen, Delfine springen, ein Drache tritt auf, Armida fliegt in einer Wolke vorbei, die gefangene Almirena schwebt in einem großen Vogelkäfig. Die Figur des christlichen bzw. guten Magiers erinnert bei Kostüm und großer Perücke an ein barockes Portrait und hilft mit einen Zauberstab. Armidas Zauberreich interpretiert der Regisseur ironischerweise als Theater und Ort von (Theater-)Magie, man blickt auf eine Bühne und sieht im Hintergrund die Stuhlreihen. Wenn Almirena in Gefangenschaft das berühmte Lascia ch'io pianga singt, beginnt der gemalte Theaterhintergrund zu verlaufen, ihre Gefühle und Tränen setzen die Magie außer Kraft. Es sind viele solcher Einfälle, die den Charme dieser Inszenierung ausmachen. Doch ganz ungestraft will der Regisseur das Publikum am Ende nicht entlassen und zückt den Zeigefinger: das glückliche Ende wird verhindert, Rinaldo hat zwar den blutigen Kampf gegen das Böse gewonnen, doch er ist so traumatisiert und (w)irr, daß er nicht mehr gesellschaftsfähig wirkt. 

Was ist zu hören?
Dirigent Rinaldo Alessandrini ist durch zahllose CD-Einspielungen als einer der renommiertesten Dirigenten früher Musik bekannt. Die Deutschen Händel-Solisten musizierten mit ihm gestern einen ausgesprochen klangschönen Rinaldo, der aber in den ersten beiden Akten zu gleichförmig und zu wenig akzentuiert klang. Erst im dritten Akt wurde der Klang deutlich farbiger, federnder und abwechslungsreicher. Ungewöhnlich auch die Anordnung der Musiker: die Continuo-Gruppe sitzt nicht in der Mitte, sondern am Rand und scheint auch an den Rand gedrängt: bspw. die seit vielen Jahren in Karlsruhe von Sören Leupold grandios gespielte Theorbe kam gestern weniger zur Geltung als sonst üblich. Der Vergleich mit Siroe wird interessant, Attilio Cremonesi dirigierte letztes Jahr diese Oper aufregender als Alessandrini gestern Rinaldo.

Lawrence Zazzo sang erstmals 1998 als Unulfo in Rodelinda bei den Karlsruher Händel Festspielen, 2012 übernahm er die Titelrolle in Alessandro. In René Jacobs maßgeblicher CD-Einspielung (aufgenommen 2002) des Rinaldo sang er Goffredo, nun singt er die Titelrolle als Rinaldo. Zazzos lange Bühnenerfahrung macht sich dabei im Guten wie im weniger Guten bemerkbar: ein Routinier, aber auch ein Routinier dessen gestriger Auftritt ein wenig an Frische fehlte. Insbesondere die drei am Ende des ersten Aktes aufeinanderfolgende Solos zeigten Stärken und Schwächen: die beiden wehmütigen Cara sposa und Cor ingrato gelangen Zazzo ausdrucksstark, das koloraturreiche Bravourstück Venti, turbini, prestate erklang zu wenig mitreißend (die andere Bravourarie Or la tromba ist übrigens 1731 gestrichen). Zazzo war nicht der Star der gestrigen Premiere, das war vielmehr Suzanne Jerosme als Almirena. Sie gehört zu den aktuellen Barock-Stars und bekam gestern auch mit Abstand den größten Applaus. Das von zwitschernden Flöten begleitete liebliche Augelletti, che cantate gelang wunderbar virtuos und schwebend, das berühmte Lascia ch'io pianga war ein leuchtender Trauergesang, der sogar noch inbrünstiger hätte gelingen können, wenn der Dirigent der Arie etwas mehr Luft zum Leuchten gegeben hätte. Und am Ende des zweiten Akts darf sie ihre szenisch unpassend gut gelaunte Bravourarie bei geschlossenen Vorhang aus dem Orchestergraben und dem Zuschauerraum singen, was der Sängerin den größten Einzelapplaus der Vorstellung sicherte.
Der zweite Lichtblick war gestern der spanische Tenor Jorge Navarro Colorado, der als Goffredo den ersten und zweiten Akt eindrucksvoll mit elegant geführter Stimme eröffnet. Sein Duett mit Almirena Al trionfo del nostro furore war einer der Höhepunkte der Premiere. Überhaupt gelangen gestern die Duette bemerkenswert mitreißend. 
Die Zauberin Armida ist bei Valeria Girardello in guten Händen. Im Rinaldo von 1731 ist Armida weniger eindrucksvoll als 1711, manche Bravourarie fehlt, der ganz große Auftritt ist Armida in dieser Version verwehrt. Die italienische Altistin Francesca Ascioti klang als Argante im ersten Akt seltsam kurzatmig und steigerte sich später. Lisandro Abadie sang zuletzt 2014/15 in der unvergeßlichen Kerzenlichtproduktion Riccardo Primo. Als Mago und Araldo kann der Bassist erneut einen guten Eindruck hinterlassen.
Und auch ein Ensemble-Mitglied ist dabei: Una Donna ist eigentlich Una Sirena und ist mit Martha Eason besetzt, die zu Beginn des zweiten Akts in einem Boot durch die Zuschauerreihen des Bühnentheaters in einem bemerkenswerten Kostüm fährt und eine der schönsten Arien der Oper singt: das schlichte Il vostro maggio.

Fazit: Eine inhomogene Produktion mit vielen Stärken, aber auch manchen Schwächen.

PS: Vielen lieben Dank an die Person(en), die bravourös entschieden haben, keine Ansprachen von Politikern unmittelbar vor der Aufführung vor wartendem Orchestergraben und Zuschauern zu halten.

Besetzung und Team
Rinaldo: Lawrence Zazzo
Almirena: Suzanne Jerosme
Armida: Valeria Girardello
Goffredo: Jorge Navarro Colorado
Argante: Francesca Ascioti
Mago / Araldo: Lisandro Abadie
Una Donna: Martha Eason

Deutsche Händel-Solisten
Musikalische Leitung: Rinaldo Alessandrini
Regie, Bühne & Kostüme: Hinrich Horstkotte
Licht: Rico Gerstner
Video: Sven Stratmann

2 Kommentare:

  1. Nur in aller Kürze: Mir war die Inszenierung viel zu überfrachtet,
    konnte z.B. keinen Mehrwert in Computervogelschwarm plus dann nochmals hunderter winziger Vögel, plus Statisterie mit Vogel am Stöckchen über die Bühne huschend, erkennen. Was sollte das Theatro La Fenice, die Stuhlreihen, die zu Wellen werden, die Fisch(wieder am Stöckchen), der kitschige Pappdelfin? Mir alles zu viel und dadurch irgendwie beliebig und langweilig. Schauen Sie mal in den Rinaldo von Saint Louis (2018) auf youtube rein. Sehr witzig, sehr berührend, und es wúrde mich nicht wundern, wenn er Karlsruhe in manchem als Vorbild gedient hätte, nur halt leider schlecht umgesetzt. Es ist auch übrigens die andere Fassung (Goffredo Mezzo, Argante Bass). Rinaldo singt übrigens Paul- Antoine Benos- Djian, der im Mai den Tamerlano singen wird. Da kann man sich sehr, sehr drauf freuen.

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Das "Überfrachten" geht für mich bühnenseitig in Ordnung. Doch wenn schon pittoreske Effekte, dann bitte auch pittoreske Affekte. Mich störte, daß der Regisseur es nicht konsequent auf die Personenführung übersetzt hat. Rinaldo als traumatisiertes Wrack blieb mir unverständlich.

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