Heute ist mehr Lametta
Gute Vorstellungen nehmen die Zuschauer bekanntlich auf eine Reise mit, bei der Ankommen und Unterwegssein dasselbe sind. Das werden vielleicht gestern insbesondere die Zuschauer so empfunden haben, die Die Fledermaus kennen und über die Jahre schon öfters gehört und gesehen haben. In Karlsruhe hat man nun immerhin die dritte Fledermaus in weniger als 25 Jahren bzw. die vierte in vier Jahrzehnten. Pavel Fiebers Inszenierung 2001/2002 war so beliebt und unterhaltsam wie das Regie-Elend vor elf Jahren humorfrei und erfolglos. Gestern nun erzielte die Premiere der neuen Produktion einen schönen Publikumserfolg und indem man schnell musikalisch, sängerisch und szenisch präsent war und auf den Punkt kam, ermöglichte man den Zuschauern schon von Beginn an, anzukommen und sich insbesondere mit den grandiosen Sängern und Musikern zu freuen, die voller Engagement und Spielfreude erreichten, was lange Jahre nur selten gelang: ein lachendes und gut gelauntes Publikum. Bravo!
Im Mittelpunkt steht Gabriel von Eisenstein, der aufgrund einer Tätlichkeit eine kurze Gefängnisstrafe antreten soll, aber lieber ohne seine Ehefrau zu informieren einen letzten Abend auf dem Ball des Prinzen Orlofsky verbringen möchte. Sein Freund Dr. Falke hat dafür einen besonderen Plan – als Rache dafür, daß Eisenstein ihn einst in einem Fledermauskostüm bloßstellte. Dr. Falke arrangiert eine Reihe von Verwicklungen, um Eisenstein einen Streich zu spielen. Auf dem Ball tauchen schließlich alle Hauptfiguren auf, jedoch unter falscher Identität: Eisensteins Frau Rosalinde als ungarische Gräfin verkleidet, deren Zofe Adele als angehende Schauspielerin und Gefängnisdirektor Frank, der zuvor bei Rosalinde den falschen Eisenstein verhaftet hat, denn Alfred - Rosalindes ehemaligen Liebhaber, der kaum ist Eisenstein aus dem Haus, auf ein galantes Abenteuer hofft - klärt zum Schutze Rosalindes die Verwechslung nicht auf.
Während des Balls flirtet Eisenstein ahnungslos mit der maskierten Gräfin, also seiner eigenen Frau, und erlebt eine Reihe von komischen Mißverständnissen. Am Ende treffen sich alle im Gefängnis wieder, und die ganze Wahrheit kommt ans Licht und das sehr zur Belustigung aller Beteiligten und zur Erleichterung für Dr. Falke, der seine "Rache der Fledermaus" genommen hat.
Historisches
1874 wurde die Fledermaus in Wien uraufgeführt, bei Gastspielen scheint sie auch nach Karlsruhe gekommen zu sein, doch die erste Produktion des Großherzoglichen Hoftheaters fand erst am 06.05.1891 statt.
Regisseur Tobias Ribitzki nimmt im Programmheft klar Stellung: "Operette sollte Unterhaltung im besten Sinne sein!" Und das ist erfüllt! Man kann sich amüsieren und lachen bei dieser Produktion. Vor allem kann man sich daran erfreuen, wie inspiriert und engagiert gesungen, gespielt und musiziert wird. "Ich finde, man muß die Gattung ernst nehmen und darf nicht gegen sie arbeiten, sonst funktioniert sie nicht. Aber, und das ist genauso wichtig, die Unterhaltung darf nicht (nur) harmlos sein. Die Operetten von Strauß, Offenbach und Co. dienten der Gesellschaft schon immer auch als Spiegel: Sie verhandeln gesellschaftskritische Fragen, die in ihrem Kern bis heute aktuell sind. Auch in der Fledermaus blitzen in all der überdrehten Komik immer wieder Momente der Tragik auf. Da bleibt einem schon mal das Lachen im Halse stecken … Es geht darum, die richtige Balance zu finden und immer ganz genau hinzuschauen." Ribitzki gelingen Gags und auch ein intelligenter alberner Humor, der weit über der Art von billigen Klamauk steht, für den das letzte Jahrzehnt so berüchtigt war. In den Abgrund läßt der Regisseur insbesondere Dr. Falke blicken, der von Eisensteins Streich schwer gedemütigt ist und offensichtlich Narben zurückbehalten hat. Und auch um die Ehe der Eisensteins steht es nicht optimal. Doch diese ernsten Aspekte sind nur Nebenbaustellen im Erzählstrom, der die zwei bekannten Seiten der Medaille schwach thematisiert: Doppelmoral sowie Schein und Sein. Das geben auch Bühne und Kostüme wieder: Man beginnt in einem etwas biederen Wohnzimmer, der Ballsaal glitzert durch bühnenbreite und hohe glitzernde Lamettavorhänge, im dritten Akt herrscht Katerstimmung, der große Kronleuchter des zweiten Akts liegt am Boden, das Lametta hängts schief. Dekadenz und Verruchtheit waren nur gespielt, das forcierte Vergnügen als vorübergehender Wellenbrecher der Alltagsroutine hat sich wieder beruhigt und gelegt.
"Die drei Akte der Fledermaus entsprechen für mich drei verschiedenen Erzählarten: Der erste Akt ist eine Boulevardkomödie, der zweite ein flirrender Zustand und der dritte quasi ein Schauspiel mit Musik." Die Boulevardkomödie des ersten Akts ist lustig, die Ballszene ist kurzweiliger als gewohnt, die Ührchen-Szene ist gekürzt. Besonders musikalisch hat man gute Ergänzungsideen. Sprechszenen sind musikalisch unterlegt oder gleich ganz durch Gesang ersetzt, bspw. in der Szene, in der sich Eisenstein und Frank, die sich als Franzosen ausgeben, aber kein Französisch sprechen, als Landsleute vorgestellt werden und ihre fehlenden französischen Sprachkenntnisse durch das gemeinsame Singen von französischen Opern-Hits kompensieren. Die erfreuten Zuschauer hören dann ein Medley aus Carmen, Perlenfischer, Faust, Hoffmanns Erzählungen etc.
Der dritte Akt ist wie üblich am lahmsten: Frosch erzählt Witze, der Rest ist herkömmlich inszeniert - der Regisseur verpaßt es, dem dritten Akt einen eigenen Stempel aufzudrücken und beläßt es bei einem ordentlich und solide ausgeführten Ende.
Was ist zu hören?
Ina Schlingensiepen war bei der letzten Karlsruher Fledermaus noch die Adele, nun ist sie zur Rosalinde gereift und stellt unter Beweis, was man in Karlsruhe seit über 20 Jahren weiß: als Darstellerin ist sie in ihrem Element. Rosalinde ist eine weitere Paraderolle für sie. Nur dem Csárdás im zweiten Akt fehlte gestern noch ein wenig der Paprika. Matthias Wohlbrecht steht dem in nichts nach und ist ein grandioser Eisenstein, der stets überzeugt. Beim Walzer trumpften Schlingensiepen und Wohlbrecht dann ebenfalls als am harmonisch tanzendes Paar auf. Armin Kolarczyk war bereits in der letzten Produktion ein idealer Dr. Falke und kann seinen außergewöhnlichen schönen Kavalierbariton erneut optimal präsentieren, die Verbrüderungsszene erklang wie eine schwerelos Utopie. Und auch Martha Eason hat nach Norina ihre zweite Paraderolle in Karlsruhe gefunden, denn ihre Adele läßt keine Wünsche offen: ganz souverän spielt und singt die junge Amerikanerin die Ensembles und ihre Couplets Mein Herr Marquis und Spiel ich die Unschuld vom Lande und das auch mit perfekter Aussprache. Und Brett Sprague ist einer der lustigsten und stimmschönsten Alfreds, den der Verfasser dieser Zeilen bisher erlebt hat. Die Regie hat für seine Rolle besonders schöne Einfälle. Bravo!
Fazit: Eine schöne Fledermaus, die man mehrfach sehen und hören kann! Bravo!
Besetzung und Team:
Alfred: Brett Sprague