Montag, 31. März 2025

Strauss - Der Rosenkavalier, 30.03.2025

Aus der Zeit gefallen, aus den Fugen geraten, aus der Perspektive des Wehmuts
Der neue Karlsruher Rosenkavalier ist eine Übernahme einer Inszenierung, die 2006 in Berlin Premiere feierte (und später auch u.a. in München und Prag zu sehen war). Regisseur Andreas Homoki, damals Intendant der Komischen Oper, erschuf eine grundsolide, aber etwas zu humorlose Inszenierung, die sich an zentralen Stellen verdichtet, indem sie nachdrücklich die Brüche ernst nimmt und die Wehmut, die über ihnen liegt. Am Schluß gibt es zwar ein glückliches Liebespaar, doch manches gerät dabei aus den Fugen und fällt aus der Zeit. Letztendlich überzeugt diese Inszenierung durch die Rücksichtnahme, man möchte fast Zärtlichkeit sagen, mit der der Regisseur den drei liebenden Figuren begegnet. Die gestrige Premiere gelang homogen auf hohem Niveau und erhielt sowohl sängerisch als auch musikalisch viel Applaus und Bravos, und insbesondere das zentrale Sängerquintett war grandios.

Worum geht es?
Ort und Zeit: Wien im Rokoko
Das Leben ist zu kurz, um unglücklich zu sein. Die Ouvertüre schildert eine Liebesnacht, die Oper beginnt im Schlafzimmer. Die junge Gattin eines abwesenden Feldmarschalls, im Libretto die Feldmarschallin genannt, eine noch junge Frau Anfang/Mitte 30 von Schönheit und Verstand, hat eine heimliche Affäre mit dem etwa halb so alten, jugendlichen Grafen Octavian. Als der selbstgefällige, sich in finanziellen Schwierigkeiten befindliche Landadlige Baron Ochs auf Lerchenau in der Stadt um eine Verbindung mit der reizenden, mit beträchtlicher Mitgift ausgestatteten Sophie Faninal werben will, bittet er die Feldmarschallin als seine Cousine um Rat: er braucht einen Boten für seinen Antrag: den Rosenkavalier. Die Feldmarschallin schlägt ausgerechnet Octavian vor, um der jungen Braut das feierliche Zeichen der Verlobung -eine silberne Rose-  im Auftrag des Werbers zu überbringen (ein übrigens erfundenes Ritual). Octavian und Sophie verlieben sich dabei. Ochs hingegen erweist sich als so dummdreist, daß es zum Skandal kommt. Mit einer ihm gemäßen plumpen Intrige wird er entlarvt und zum Rückzug gezwungen. Am Ende bleibt der Feldmarschallin nur der Verzicht auf ihren Geliebten. Octavian und Sophie sind vereint.

Historisches
Die Premiere fand am 26.01.1911 in Dresden statt, die Karlsruher Erstaufführung erfolgte bereits wenige Wochen später am 17.03.1911. Die nächste Inszenierung bietet sich also zum 125jährigen Jubiläum 2036 an.

Quelle: hier bei der BLB


Was ist zu beachten?
Das Rokoko war in gewisser Weise auch das Zeitalter der adligen Liebschaften. Galante Abenteuer hatten allerdings schicklich zu sein - sie durften nicht bekannt werden. Literarische Sittengemälde scheinen damals durchweg auf französisch geschrieben worden zu sein. Hans Magnus Enzensbergers Die Andere Bibliothek publizierte 1990 die Erinnerungen des Marschalls von Richelieu (*1696 †1788) an seine Liebschaften. Unter dem Buchtitel Nie war es herrlicher zu leben wurde vor einigen Jahren Auszüge aus dem Tagebuch des Herzogs von Croÿ (*1718 †1784) verlegt. Von Choderlos de Laclos (*1741 †1803) erschien 1782 der Briefroman Gefährliche Liebschaften (Les liaisons dangereuses). Und eine der berüchtigsten Autobiographien des 18. Jahrhunderts schrieb Giacomo Casanova (*1725 †1798). Voltaire (*1694 †1778) nannte seine Epoche hingegen das siècle des petitesses - das Jahrhundert der Petitessen, der Kleinheit, der Kleinlichkeit, in gewisser Weise auch der Detailverliebtheit. Äußerlich scheint das Rokoko als ein erstarrtes Zeitalter, das dem Alter huldigt, ein Zeitalter der Schminke, der Masken und Perücken, des Porzellans und des Ornaments. 1789 endete diese Epoche mit der französischen Revolution, die adlige Libertinage wich bürgerlicher Sittsamkeit. Der frühere Intendant des Badischen Staatstheaters Pavel Fieber hatte diese Zusammenhänge mit seiner sehr schönen Inszenierung von Mozarts Hochzeit des Figaro (2001) sichtbar gemacht. Der Rosenkavalier - komponiert wenige Jahre vor dem Epochenbruch des ersten Weltkriegs -zeigt das Rokoko aus Sicht des Jugendstils als idealisierte Vergangenheit, in der nicht das Menuett, sondern  der Walzer zum Ausdruck der Epoche wird. Die neue Karlsruher Inszenierung geht darüber hinaus und ist nicht unähnlich Fiebers Ansatz. Gleich zwei Epochen gehen zu Ende und in der Schlußszene öffnet sich eine Tür in die Zukunft.

Was ist zu sehen?
Bei den Kostümen werden Entstehungs- und Handlungszeitpunkt vermischt: Rokoko trifft auf  die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, Perücken, Livrées und Kniebundhosen, Strümpfe und Schnallenschuhen werden mit bürgerlichen Anzügen, Dienstboten- und k.u.k.-Uniformen kombiniert. Zu sehen ist ein Einheitsraum eines schmucklosen, tapetenlosen und fensterlosen Zimmers, daß eher nach Gips denn nach Pracht aussieht. Der erste Akt, das Lever der Marschallin, findet noch überwiegend im Maria Theresia-Ambiente statt, nur ohne Prunk und Marmor. Der zweite Akt, das Verlieben von Sophie und Octavian und die Auseinandersetzung der beiden Bräutigame, spielt eher ein Jahrhundert später. Die größten Abweichungen sind im dritten Akt, der nicht als Buffo-Akt inszeniert ist. In allen drei Akten sind die Massenszenen der Schwachpunkt, deren Turbulenz nicht optimal entwickelt wird. Das Chambre separée ist nur angedeutet, weder Verkleidungen noch geprobte Mißverständnisse bringen Ochs in die Klemme, stattdessen zieht das metaphorische Gewitter des  Zeitenwandels über die Szene, die Rückwand ist gekippt, die Räume werden eher geplündert denn leer geräumt, die moralische Entrüstung des Bürgertums über den Adel scheint nicht geprobt. Nur die Marschallin hat noch letzte Autorität. In der Schlußszene singt das Liebespaar im Hintergrund, die unglückliche Marschallin als Liebesstifterin ist alleine auf der Bühne, entledigt sich ihres Kostüms und ihrer Perücke und schaut hilf- und ratlos bis sich ihr die Zukunft des Heute öffnet. Ein Mädchen in aktueller Kleidung rennt auf die Bühne, schnappt sich mit der silbernen Rose die letzte, inzwischen sinnentleerte Erinnerung und bietet der Marschallin einen Ausweg.

Abschweifung: Einige der gestrigen Premierenbesucher werden 2009 im Festspielhaus Baden-Baden die Rosenkavalier-Inszenierung von Herbert Wernicke gesehen haben (hier bei youtube). Es sangen damals u.a. Renée Fleming, Diana Damrau, Sophie Koch,  Franz Hawlata und Jonas Kaufmann, Christian Thielemann dirigierte. Szenisch war diese Produktion prachtvoller und komischer, aber die Figuren blieben ein wenig indifferent. Dies gelingt hingegen Homoki, der stärker bei den Charakteren und ihrer Vertiefung ist. 

Was ist zu hören?
Nach der großartigen Schweigsamen Frau in der letzten Spielzeit kann GMD Georg Fritzsch auch beim Rosenkavalier überzeugen. Im gelingt vieles, die Melancholie der Marschallin und das Poltern des Ochs, insbesondere auch das Stimmungsvolle -das Schwelgerische, das Wimmelnde und das Rasante sowie die Instrumentenkomik und viele musikalischen Delikatessen der groß aufspielenden Badischen Staatskapelle. Dem Beginn des ersten Aktes mangelte es bei der Premiere bestimmt nicht an Überschwang, aber noch an Sinnlichkeit. Die Überreichung der Rose im 2. Akt fehlten ein wenig Silberglanz und Zauber, die Szene war zu wenig auskostend und fast etwas pauschal bei zu hohem Tempo dirigiert. Wo die Inszenierung nicht gut funktioniert - wie üblich im dritten Akt - legt Fritzsch an Tempo zu und steigert sich zu einer Rasanz, die man gerne auch auf der Bühne wahrgenommen hätte. Letztendlich gelang den Musiker und Sängerinnen dann noch ein herausragendes Schlußterzett.
Ann-Beth Solvang war bereits eine grandiose Phädra, auch als Marschallin agiert sie souverän und überzeugt durch Leuchtkraft und Ausdruck. Sie verleiht ihrer Figur Leidenschaft, Verständnis und Entsagung und damit die erforderliche menschliche Größe. Bravo! Ganz grandios sang Florence Losseau  als hin- und hergerissener Octavian. Losseau zeigte gestern die überzeugendste Leistung, der Octavian sollte für sie über viele Jahre ihre Paraderolle sein. BRAVO! Die Sophie von Ralitsa Ralinova klingt so hinreißend, daß man unmittelbar versteht, wie sich Octavian in sie verlieben kann: befangen und überschwänglich, rührend und selbstbewußt. Bravo! Als derber Ochs hat man vom Nationaltheater Mannheim Patrick Zielke engagiert, der seiner Rolle mit einer bewunderungswürdigen Selbstverständlichkeit sängerisch und darstellerisch gerecht wird und viele Bravos bekam. Auch Tomohiro Takada kann auftrumpfen: darstellerisch und stimmlich erwies er sich für die oft etwas nebensächlich auftretende Figur des Faninal als Volltreffer. Und in der kleinen, aber schwer zu singenden Rolle des italienischen Sängers läßt Beomjin Angelo Kim aufhorchen. Ob in den Haupt- und Nebenrollen oder im Chor bzw. dem Cantus Juvenum - die gestrige Premiere war hochklassig homogen. 

Fazit: Erneut eine bravouröse Leistung, die zeigt, daß die Karlsruher Oper auf dem richtigen Weg ist. Nach der Fledermaus hat man nun auch einen Rosenkavalier zu bieten, der das Publikum abholt und mitnimmt. 

Besetzung und Team 
Marschallin: Ann-Beth Solvang   
Octavian: Florence Losseau   
Sophie: Ralitsa Ralinova  
Baron Ochs: Patrick Zielke
Faninal:  Tomohiro Takada
Valzacchi: Klaus Schneider
Italienischer Sänger: Beomjin Angelo Kim  
Leitmetzerin: Clare Michelle Tunney
Wirt / Haushofmeister Marschallin / Haushofmeister Faninal: César del Río Fuentes
Annina: Christina Niessen
Kommisar / Notar: Liangliang Zhao
Tierhändler: Sichao Cheng
Hausknecht: Jiaqi Wang
Modistin: Cleo Röhlig Adelige Waisen: Nicole Hans, Maike Etzold, Ursula Hamm-Keller
Lakaien: Wei Liu, Harrie van der Plas,  Edgars Skarbulis, , Luiz Molz
Kellner: Arno Deparade, André Post, Dylan Glenn, Alexander Huck
Lerchenauer: Wolfram Krohn, Sean Webster, Jeong-Gil Kim, Andrey Netzner, Dimitrijus Polesciukas, Lukasz Ziolkiewicz

Badischer Staatsopernchor
Badische Staatskapelle
Statisterie des Badischen Staatstheaters
Cantus Juvenum Karlsruhe e. V.

Musikalische Leitung: Georg Fritzsch
Chor: Ulrich Wagner
Regie: Andreas Homoki
Einstudierung: Werner Sauer
Bühne: Frank Philipp Schlößmann
Kostüme: Gideon Davey
Video & Licht: Franck Evin

3 Kommentare:

  1. Ich pflichte Ihnen bei, dass im 2. Akt die Brillianz gefehlt hat. Sophie wirkte ältlich in ihrem dunklen Kleid, die Rose in der Schmuckschachtel war, je nachdem wo man sass, nicht zu sehen. Dass das Kistchen dann am Schluss hinter der Türe von der Marschallin aufgelesen wird, fand ich trivial, dass dann so ein jugendlicher Strassenräuber es ihr aus der Hand reisst, fand ich noch witzig, aber dass er stehen bleibt und ihr winkt, dass sie mit ihm abgeht, darauf konnte ich mir keinen Reim machen. Wie schön ist doch diese Schlussstelle komponiert, so zart und leichtfüssig, wie ein zerflossener Traum, oder eben wie ein Batisttaschentuch, das versehentlich zurückbleibt und im Vorbeihuschen aufgehoben wird. Aber das "Mohrenkind" war ja auch im ersten Akt ganz steif und künstlich. Sehr schön übrigens in der wunderbaren Dresdener Inszenierung von 2007/8 ( Uwe Eric Laufenberg), wo man keine Angst davor hatte, die Rolle mit einem dunkelhäutigen Jungen zu besetzen. Ochs mit seinen kleinen privaten Einlagen("bis später", "aua"...) herrlich! insgesamt schön gesungen, die Holzbläser hab ich schon intonationssicherer gehört. Man braucht halt viel Sitzfleisch, und da man fast kein Wort verstehen kann, ist es doch recht ermüdend, wenn man den riesigen Text nicht kennt, dauernd mitzulesen.

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich habe noch nie einen Rosenkavalier gesehen, der mich vollends überzeugte, zu viel Musik und Geschehen will bebildert werden, die Vorgaben des Librettos sind meines Erachtens nicht immer hilfreich, visuell tickt ein heutiges Publikum anders als 1911. Das Battisttaschentuch von damals würde für mich nicht funktionieren. Irgendwie werden sich also vermutlich immer Leerstellen oder Trivialitäten finden. Aber bei so viel großartiger Musik brauche ich kein Sitzfleisch, die Inszenierung soll mich beim Zuhören nicht stören. Und gestern hatte ich viel Freude beim Zuhören, das war eine sehr gute Premiere und ich freue mich schon darauf, einer weiteren Vorstellung zu folgen.

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  2. @F.Kaspar
    Vielen Dank für Ihre Unterstützung, ich stimme Ihnen zu. Nur manche Diskussionen lohnen sich meines Erachtens nicht und müssen hier nicht geführt werden :-)

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