Stimmungsvolles Spektakel zum Spielzeitende
Eine gelungene Gala ist nie einfach nur eine Vorstellung, sondern auch ein Ereignis. Und zu Ereignissen begibt man sich nicht nur wegen der Darbietung, sondern um sie besucht zu haben und dabei gewesen zu sein. Gestern konnte man am Badischen Staatstheater eine solche Gala erleben: eine ausverkaufte, knapp vierstündige Ballett-Vorstellung mit internationalen Gästen, darstellerischen Höhepunkten, launigen Worten und einer Preisverleihung. Wie zu erwarten gab es viel gute Laune und langen Applaus und wer nicht dabei war, hat tatsächlich etwas verpaßt!
Abschweifung (1)
Galas sind rar geworden am Badischen Staatstheater. Nach der Covid-Epidemie hat man gar ein ganzes Abonnement einfach verschwinden lassen: die Opern-Galas wurden erst lange heruntergewirtschaftet und dann sang- und klanglos gestrichen. Spitzensänger zu normalen Preisen waren noch möglich, als man sich mit dem Geld der Steuerzahler auf Kunst und Künstler konzentrierte (und es genug Publikum gab, die dies zu schätzen wußten), inzwischen haben manche Theater Probleme, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und definieren sich nicht mehr gerne ästhetisch-künstlerisch; Und auch das anspruchsvolle Publikum war nicht mehr gerne gesehen, denn wer Vergleiche ziehen kann, unterscheidet das Bessere vom Guten und erst recht vom Übermaß des Schlechten. Manchen schien es, als pumpe man das Geld der Steuerzahler stattdessen gerne in dubiose Aktivitäten und ideologischen Aktivismus. Zudem haben politische Fehlentscheidungen den finanziellen Spielraum der Theater stark eingeschränkt. Wer es sich leisten kann, darf ins Festspielhaus nach Baden-Baden, um Stars zu sehen. Das Badische Staatstheater hat hingegen an Glanz verloren. Immerhin hat man noch die Händel-Festspiele (nun auch mit Farinelli-Wettbewerb) als Saison-Höhepunkt und auch im Ballett hat man den jährlichen Gala-Gedanken glücklicherweise nie aufgegeben. Nur im Schauspiel ist man von Gala so weit entfernt, wie die Mikrowellen-Mahlzeiten von der Sterne-Gastronomie. Ballett und Oper sind international, das deutsche Schauspiel hingegen wirkt wie hinter der Mauer, abgeschnitten, mangelbehaftet und in sozialistischer Trostlosigkeit gefangen. Viel zu viel Steuergeld fließt in viel zu viel schlechtes Sprechtheater. Man hat ein System des grauen Mittelmaßes geschaffen, und wenn man bedenkt, daß man in Karlsruhe gerade mit vielen hundert Millionen Euro Steuergeldern auch einen Neubau mit neuem Schauspielhaus baut, kann man auch als Theaterenthusiast Kopfschmerzen bekommen. Aber genug der Abschweifung.
15 Choreographien waren zu sehen, davon sechs mit neun Gasttänzern:
Rocio Aleman und David Moore vom Stuttgarter Ballett tanzten John Crankos Balkon-Pas de Deux aus Romeo und Julia in ganz klassisch anmutender Harmonie, bei der der Überschwang nie den Körper überwältigt, wie man das aktuell in Karlsruhe bewundern darf.
Aus Alexei Ratmanskys Bilder einer Ausstellung tanzten Alina Cojocaru und Joseph Taylor die Duette zu Promenade und Das alte Schloss sowie nach der Pause den Schlafzimmer-Pas de Deux aus Kenneth MacMillans Manon.
Die rumänische Primaballerina Alina Cojocaru - ehemalige Principal Dancer des Royal Ballet London- war als "absoluter Stargast des Abends" angekündigt und beeindruckte das Publikum durch ihre ungewöhnliche Könnerschaft, die ganz subtil wirkt: sie tanzt wie andere gehen und atmen, mit einer Natürlichkeit und Leichtigkeit, die ganz diskret erstaunt. Ballettdirektor Rebeck gestand in seiner Moderation, daß Cojocaru seine Traumkandidatin als Tanzpartnerin während seiner aktiven Laufbahn als Tänzer war. Der Traum erfüllte sich für Rebeck zwar nicht, doch als Ballettdirektor gelang es ihm nun, sie nach Karlsruhe einzuladen.
Den Grand Pas de Deux aus Marius Petipas Don Quixote präsentierten Elisabeth Tonev und Giorgi Potskhishvili vom Het Nationale Ballet Amsterdam. Diese Choreographie war zu Beginn der Spielzeit bereits in Tanzkraftwerk zu sehen, damals getanzt von Anzu Ito und Daniel Rittoles. Diese Paradechoreographie sieht man immer wieder, doch nach vier Jahrzehnten und einigen Grand Pas de Deux muß der Autor dieses Blogs eingestehen, daß er diese Szene noch nie so mitreißend dargeboten bekam wie gestern.Der grandiose Giorgi Potskhishvili löste mit seinen Sprüngen und Drehungen beim Publikum Begeisterung aus - BRAVOOO!, das Paar aus Amsterdam hatten den stärksten Einzelapplaus.
Shori Yamamoto präsentierte mit Eric Gauthiers ABC den umjubelten komischen Höhepunkt des Abends. Und Sasha Riva und Simone Repele tanzten in der von ihnen choreographierten Groteske I‘m On Your Side.
Weiterhin je eine Uraufführung von Ballettdirektor Raimondo Rebeck, Hauschoreographin Kristina Paulin und Tänzerin Marta Andreitsiv. Insbesondere Paulins Number 32 überzeugte, bei dem im Schlußbild zwei Tänzer mit Jason Pollocks Gemälde Number 32 verschmelzen. Bravo! Paulin studierte eine weitere starke Choreographie neu ein und zwei Karlsruher Tänzer zeigten eine Kreation von Marco Goecke. Dazu gab es diverse Ausschnitte aus dem Programm dieser Spielzeit.
Als Überraschungs-Star des Abends entpuppte sich der Karlsruher Tänzer und Choreograph Aaron Kok, der nicht nur als präsenter Tänzer mehrfach auffiel, sondern auch mit der originellsten Choreographie: Have You Seen My Man? Laut Kok: "Inspiriert von verschiedenen Formen des kommerziellen Tanzes entschied ich mich, ein Quintett zu choreographieren, dessen Bewegungen mich persönlich ansprechen und meinen individuellen Stil sowie meine Art zu tanzen widerspiegeln. Untermalt mit dem Song Mi Mujer des Komponisten Nicolas Jaar, kontrastiert meine Kreation Have You Seen My Man? männlichen Gesang mit einer Erkundung weiblicher Bewegung und Ästhetik. Sie vereint Elemente von Sinnlichkeit und Verspieltheit und schafft eine intime Verbindung zwischen den Tänzern und dem Publikum, das eingeladen ist, die Frage zu beantworten: Hast du meinen Mann gesehen?" Wie jammerschade, daß man Have You Seen My Man? in der nächsten Saison nicht mehr zeigt. Um diese Produktion sollte man einen ganzen Tanzabend erschaffen! BRAVO!
Wer zum Abschluß auf Paulins Bolero gehofft hatte, wurde leider enttäuscht. Alle Tänzer der Compagnie zeigten zum Ausklang stattdessen einen Ausschnitt aus Mauro Bigonzettis Cantata.
Der trainierte Körper ist weit weniger tagesformabhängig als die Stimme, Ballett-Galas sind zuverlässiger erfolgreich als Opern-Galas. Gäste und Compagnie tanzten gestern mit allem, was sie haben: mit Ausdruck, mit Eleganz, mit Freude und mit Muskelkraft. Es hebte sich, es drehte sich, es schwebte und gleitete, stets virtuos, und das in der Horizontalen, Diagonalen und Vertikalen. Die Krönung eines Theaterbesuchs ist aber der seltene Moment, den man als künstlerische Brillanz bezeichnen könnte, wenn akustische und optische Eindrücke sich so verdichten und bündeln, daß man ein stehendes Jetzt erlebt, in dem man in den Eindrücken aufgeht, ohne daß man selbst ganz genau erklären könnte, warum. Und dazu gab es gestern mehrfach Anlaß.
Fazit: BRAVO! Ein gelungenes Finale mit manchen grandiosen Momenten.
PS: Hinsichtlich der Moderation, folgende umgangssprachlichen Anmerkungen: Weniger ist mehr. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.
Abschweifung (2): Obwohl es gestern erst um 19.30 losging, wirkten manche Zuschauer, als ob sie gerade aus dem Büro, von der Gartenarbeit oder vom Putzen nicht umgekleidet ins Ballett eilten. Beim Publikum konnte man also eine unklare Erwartungshaltung an die Festlichkeit des Bühnen- und Drumherumgeschehens bei einer Gala feststellen. Die Mailänder Scala hat angekündigt, gewisse Kleidervorschriften einzuführen, um ein gewisses Niveau und Respekt vor dem Veranstaltungsort zu wahren. Die Scala argumentiert, daß die neuen Regeln das Ambiente verbessern und das Erlebnis für alle Besucher aufwerten. Nun findet man in Italien zweifellos in der Breite besseren Geschmack als hierzulande und es besteht dort ein gewisser Konsens hinsichtlich Eleganz und Würde. Die Inklusivität eines öffentlichen Veranstaltungsortes wird durch stilistisches Gleichmaß gefördert. Hierzulande sind stilistische Unterschiede stets bemerkbar, die Würde eines Ortes erschließt sich nur denen, die das Konzept des guten Geschmacks und der Würde verstehen - und man sollte sich nicht vormachen: es sind zu wenige. Wäre es nicht ratsam neben dem Buchhändler im Foyer auch ein Team aus Modeberatern zu engagieren, das versucht, machen Zuschauern das Konzept der textilen Selbstachtung und des Respekts nahe zu bringen? Man sollte zukünftig unbedingt guten Geschmack mit kostenlosen Eintrittskarten belohnen, um gegen die Verwahrlosung der Stadt und der Zuschauer ein Zeichen zu setzen. Alles ist zyklisch, es wird auch wieder hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft eine Generation geben, die der Gleichgültigkeit und Geschmacklosigkeit entgegentritt.
PROGRAMM
1. Number 32 (UA)
Choreografie Kristina Paulin
Musik Bryce Dessner - Alarms, Asaf Avidan - The Ball
Mit Lucia Solari, Daniel Ritttoles; Anastasiya Didenko, Veronika Jungblut, Lena Scherer, Carolin Steitz; Baris Comak, Vitor Oliveira, Pablo Polo, Filippo Valmorbida
2. Romeo und Julia (Balkon-Pas de Deux)
Choreographie John Cranko
Musik Sergej Prokofjew
Mit Rocio Aleman, David Moore
3. Black Swan
Choreographie Marco Goecke
Musik Peter I. Tschaikowsky - Schwanensee
Einstudierung Nicole Kohlmann
Mit Natsuka Abe, Aaron Kok
4. ABC
Choreographie, Licht & Kostüme Eric Gauthier
Musik Philip Kannicht, Eric Gauthier
Einstudierung & Lichteinrichtung Luis Eduardo Sayago
Mit Shori Yamamoto
5. Bilder einer Ausstellung (Promenade, Das alte Schloss)
Choreographie Alexei Ratmansky
Musik Modest Mussorgsky
Mit Alina Cojocaru, Joseph Taylor
6. Have You Seen My Man?
Choreographie & Kostüme Aaron Kok
Musik Nicolas Jaar - Mi Mujer
Mit Natsuka Abe, Veronika Jungblut, Carolin Steitz, Sara Zinna; Leonid Leontev
7. Don Quixote (Grand Pas de Deux)
Choreographie Marius Petipa
Musik Ludwig Minkus
Mit Elisabeth Tonev, Giorgi Potskhishvili
8. A Journey of a Memory (Duett)
Choreographie, Bühne & Kostüme Raimondo Rebeck
Musik Ólafur Arnalds - Reminiscence
Mit Dina Levin, Lasse Caballero
Verleihung des Karlsruher Tanzpreises 2025
durch Ballettdirektor Raimondo Rebeck, Dr. Sabine Raulin und Prof. Dr. Christian Raulin
9. Le Diable à Quatre
Choreographie & Kostüme José Urrutia
Musik Adolphe Adam - Le Diable à Quatre
Mit Veronika Jungblut, Nicoletta Moshidis; Aaron Kok, Jasper Metcalfe, Filippo Valmorbida
10. I‘m On Your Side
Choreographie Sasha Riva, Simone Repele
Musik Packie Manus Byrne - John and the Farmer, Simon & Garfunkel - Bridge Over Troubled Water
Mit Sasha Riva, Simone Repele
11. Stories Untold (UA)
Choreographie Marta Andreitsiv
Musik Sebastian Jason Schub & Nemo Mettler - I Can’t Believe We Never Went Out Dancing
Mit Khanya Mandongana
12. The Golden Calf
Choreographie Kristina Paulin
Musik Asaf Avidan - The Golden Calf, Little Parcels of an Endless Time
Kostüme Celine Walentowski
Mit Aaron Kok, Pablo Polo
13. Metamorphosis Two (UA)
Choreographie Raimondo Rebeck
Musik Philip Glass - Metamorphosis Two
Mit Sara Zinna, Geivison Moreira
Klavier Angela Yoffe
14. Manon (Schlafzimmer-Pas de Deux 1. Akt)
Choreographie Sir Kenneth MacMillan
Musik Jules Massenet
Mit Alina Cojocaru, Joseph Taylor
15. Cantata (Tango e vai, Girasole, Pizzica)
Choreographie Mauro Bigonzetti
Mit Lena Scherer (Solo Girasole); Aaron Kok, Filippo Valmorbida (Soli Pizzica); Natsuka Abe, Sophie Burke, Anzu Ito, Veronika Jungblut, Dina Levin, Maria Mazzotti, Lena Scherer, Lucia Solari, Carolin Steitz, Mio Sumiyama, Sara Zinna; Lasse Caballero, Baris Comak, Aaron Kok, Khanya Mandongana, Niccolò Masini, Jasper Metcalfe, Geivison Moreira, Vitor Oliveira, Pablo Polo, Ledian Soto, Filippo Valmorbida
@JF
AntwortenLöschenBzgl. "internationales Schauspiel": nicht die Schauspieler, sondern Texte und Regisseure! Es gibt aktuell keine beachtenswerten deutschen Theaterautoren und kaum gute Regisseure. Nirgendwo wird so viel Schauspiel mit Steuergeldern finanziert als hierzulande. Es hat sich dadurch eine Industrie der Mittelmäßigkeit herausgebildet, die durchbrochen werden muß. Am liebsten würde ich für 2-3 Spielzeiten auf Stücke und Regisseure aus dem Ausland setzen. Man muß im Schauspiel endlich wieder über den eigenen Tellerrand schauen und das Besondere zeigen, nicht das Opportune und Ideologische.
Ich weiß nicht, ob und in welchem Beruf Sie arbeiten, aber es gibt tatsächlich Menschen, die nicht um 17 Uhr Feierabend machen können und dann noch Zeit fürs Umkleiden und die Gurkenmaske haben. Ich bin als Selbständige sechs Tage in der Woche im Geschäft und kann froh sein, wenn ich es überhaupt rechtzeitig zur Aufführung schaffe, vor allem, wenn wie gestern mal wieder die Bahnen ausfallen. Man muss nicht in der Jogginghose auftauchen, da gebe ich Ihnen recht, aber gegen Bürokleidung ist meiner Meinung nach nichts einzuwenden. - Danke jedoch für Ihre kritische Berichterstattung - ich lese Ihre Rezensionen regelmäßig und gern!
AntwortenLöschenVielen Dank für die freundlichen Worte und den Tipp mit der Gurkenmaske, mal schauen, ob das bei mir noch hilft. Bürokleidung ist nicht gleich Bürokleidung, gemeint war hier eine sehr schlichte, freudlose Alltäglichkeit. Ich komme auch oft direkt aus dem Büro ins Theater, ich fluche oft über die Unzuverlässigkeit der KVV, die mich mit Zugausfällen und Pannen mehrfach am Vorstellungsbesuch hinderten, und ich laufe auch mit Sneakern und Polo ins Schauspiel. Für ein Wochenende mit Gala war mir an diesem Samstagabend dann doch zu viel textile Tristesse unterwegs.
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