Dienstag, 12. November 2024

2. Symphoniekonzert, 11.11.2024

Das Außergewöhnliche am gestrigen 2. Symphoniekonzert war dessen Aktualität, zwei der drei Stücke waren zeitgenössische Werke von lebenden Komponisten, beide reizvoll, eines davon sogar durchaus kennenswert mit Repertoirepotential.

Die ukrainische Komponistin Bohdana Froliak (*1968) verarbeitet in ihrer Musik den russischen Krieg gegen ihre Heimat. Let There Be Light für Orchester wurde 2023 in London uraufgeführt, in Karlsruhe erfolgte nun die deutsche Erstaufführung. Der Titel ist sinnfällig, Licht statt Finsternis, doch ein Ende der russischen Aggression wird nicht wirklich Frieden bedeuten, das diktatorische Regime im großen Nachbarland scheint stabil, die Ukraine wird Frontstaat in einem neuen kalten Krieg sein, der auf Jahre hin  Aufrüstung und Wehrhaftigkeit fordert. Si vis pacem para bellum. Froliaks Orchesterstück allerdings wird sich wahrscheinlich nicht so lange im Konzertprogramm halten wie die russische Bedrohung Europas. Let there be light hat schöne Klangfarben, die aber kombiniert kein Bild ergeben, sondern nur eine Skizze. Eine kurze Kost- und Arbeitsprobe, die mit knapp zehn Minuten Spielzeit den Beweis der Skalierfähigkeit schuldig blieb. Und wer wirklich ein Es werde Licht! hören will, der sollte Haydns Schöpfung wählen. Froliak sollte man erneut auf den Spielplan setzen, dann aber mit einem gewichtigeren Stück.

Das elektrisierende Violinkonzert des amerikanischen Komponisten Bryce Dessner (*1976) wurde 2021 in Frankfurt uraufgeführt und ist buchstäblich atemberaubend und ein Kraftakt. Die Solo-Geige ist fast ununterbrochen im Einsatz, lange Zeit stehen kurze Notenwerte im Zentrum, was eine flirrende Energie ausstrahlt und den Puls nach oben treibt. Formal klassisch dreisätzig mit Kadenz am Endes des ersten Satzes (der länger als die beiden nachfolgenden Sätze zusammen ist), wenn es denn zwischen den Sätzen Pausen geben würde. Der Charakter dieses Werks erinnert mit den kleinen, sich wiederholenden Motiven an den energiegeladenen Sog der Minimal Music, dem eine atemlose Tendenz innewohnt. Selbst ruhigere Phasen können den Musikstrom dieses Perpetuum mobile nicht aufhalten. Vier Schlagzeuger, dazu Tuba, zwei Trompeten und drei Posaunen geben der Geige in diesem Konzert eine ungewöhnliche Begleitung. Die verkleinerte, fast kammermusikalische Streichergruppe hat individuelle Aufgabe, das Ergebnis erklingt zwischen rhythmischer Wucht und Concerto grosso bei hochaktivem Soloinstrument. Die Geigerin Sarah Christian ist Konzertmeisterin bei der Bremer Kammerphilharmonie, ein Orchester, das in den letzten Jahren durch CD-Aufnahmen mit Dirigent Paavo Järvi, insbesondere Beethoven- und Brahms-Zyklen, international bekannt geworden ist. Ihr Spiel, das für dieses Werk durch Virtuosität und körperlichen Einsatz geprägt ist, glänzte durch Unermüdlichkeit und Tempo sowie Akzentsetzungen und Rhythmenwechsel, die dem Konzert ein großes Maß an Spannung verliehen. BRAVO! Eine Interpretation, die zeigt, daß Bryce Dessner mit seinen Violinkonzert etwas Besonderes gelungen ist!

Nach der Pause dann die 7. Symphonie d-Moll op. 70 von Antonín Dvořák (*1841 †1904).  Gastdirigent André de Ridder ist Generalmusikdirektor in Freiburg und zeigte gestern, daß die Siebte Dvořáks dramatischste Symphonie ist. Ein mysteriöser Beginn mit herber Gestik, dann aber keine tragisch lastenden Unwuchten, sondern dramatische Zuspitzungen, oft mit hohem Tempo rasant gespielt. Es war  nicht die nuancenreichste Interpretation, dafür eine zupackende Version, die der souverän wirkende Dirigent mit der Badischen Staatskapelle beeindruckend musizierte. 

2 Kommentare:

  1. Ich fand beide modernen Stücke sehr ansprechend, aber der Parforceritt von Bryce Dessners Violinkonzert war eine Sternstunde, für die Solistin und das Orchester, und für mich (ich liebe rythmisch betonte Musik, spiele selbst ein wenig Schlagzeug). Dass es danach keine Zugabe geben konnte, war mir klar, als ich die Solistin die rechte Hand ausschüttelnd abgehen sah. Ich hätte danach auch keine erwartet. Das Spiel ihrer Muskeln am rechten Arm zu beobachten war faszinierend.

    PS: Die Uraufführung mit dem HR-Sinfonieorchester kann man bei Youtube anschauen.

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar und den Hinweis auf youtube, die Frankfurter Uraufführung findet sich übrigens hier:
      https://www.youtube.com/watch?v=U83Gc_P3m0k

      Die armfreie Bekleidung von Frau Christian mit Blick auf den durchtrainierten Oberarm betonte den sportlichen Ausdaueraspekt dieses Violinkonzerts. Selbst vom Balkon konnte man das gut erkennen. Dem Begriff "Sternstunde" stimme ich zu, ich fand dieses Konzert buchstäblich atemberaubend in vielerlei Hinsicht.

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