Sonntag, 12. Oktober 2025

Rameau - Les Boréades, 11.10.2025

Die Rasanz der Gemächlichkeit
Auch beim zweiten Hören sind die Boréades ein faszinierendes Werk, das einem ganz eigenen Zeitmaß folgt. Man erlebt eine emotionale Achterbahnfahrt, die durch die durchaus teilweise als gemächlich zu bezeichnende Abfolge von solistischem Gesang, Chor, Tanz und musikalischen Intermezzos geprägt ist. 

Gleichzeitig ist es ein beeindruckendes Zeugnis der kulturellen Umbrüche und der aufklärerischen Ideen der Entstehungszeit, die im Libretto zur Schau gestellt werden und deutlicher als in der Zauberflöte ein Chiaroscuro zeichnen, das in dieser gelungenen Produktion eingänglich szenisch umgesetzt ist. Die Handlung ist dabei eigentlich typisch für die französische tragédie en musique, die mythologische Themen mit moralischen und emotionalen Konflikten verbindet. Die Thematik von Liebe, Pflicht und göttlichem Eingreifen spiegelt die barocken Ideale von Ordnung und Harmonie wider, während die Rolle der boreadischen Winde vordergründig eine allegorische Verbindung zur Natur und göttlicher Macht herstellt. Doch es gibt erste anti-absolutistische Tendenzen der Aufklärung, als ob der Librettist Voltaires Traité sur la tolérance gekannt hätte und Privilegien infrage stellt, die individuelle Freiheit verteidigt und Ungerechtigkeit, Folter und Intoleranz anprangert. Die Figur der Königin Alphise beansprucht das Recht auf freie Liebe und verzichtet lieber auf die Krone, als sich politischen Verpflichtungen zu beugen, was  keine übliche Haltung gegenüber den damaligen Regeln des Königtums darstellt. Die von Anastasiya Taratorkina so bravourös mir Anmut und standhafter Stärke gesungene Königin widersteht den Zwängen und altertümlichen Regeln der Vergangenheit. 

Insbesondere Dirigent Attilio Cremonesi und den Musikern ist es zu verdanken, daß diese Oper auch als bildlich-farbiges barockes Klangerlebnis den von den Händel-Festspielen geschulten Karlsruher Ohren Genüge bereitet. Der barocke Klangraum erstreckt sich über weiche Harmonien mit pastoralem Charakter bis zu abgehackten Rhythmen, dissonante Harmonien und Tremoli, um Chaos und Wut darzustellen, es gibt majestätische Chören und fanfarenartige Motive, zarte Liebesarien und wütende Sturmszenen. 
Rameaus Oper hat sich am Badischen Staatstheater als Juwel erwiesen, das Opern-Kenner und Barock-Liebhaber begeistern sollte. BRAVO!